Elfenmeer: Roman (German Edition)
anzuspitzen und ins Eis zu rammen. Die Insel musste zu einem uneinnehmbaren Bollwerk gegen die Piraten werden und so, wie es aussah, auch gegen das Sonnental.
Aus einem Impuls heraus blickte er erneut zu den Booten, und da erkannte er sie. Zwei Krieger wichen ein wenig zurück, und Ardemir sah das blasse Antlitz unter pechschwarzem Haar. Pechschwarzes Haar, das mit weißen Bändern zu vielen kleinen Zöpfen geflochten war. Einen Moment lang glaubte Ardemir tatsächlich, Meara Thesalis vor sich zu sehen, so, wie es die Krieger gemurmelt hatten. Doch anders als Meara trug diese Elfe kein weißes Kleid, um ihren Rang einer höchsten Magierin zu verdeutlichen, sondern ihre übliche Waldkleidung. Sie war eine Magierin, aber sie war immer noch Vinae.
Für ihn gab es nun kein Halten mehr. Ohne noch weiter auf Ascunsela zu achten, stürmte er an ihr vorbei zu den Ruderbooten, die auf die Eisfläche gezogen wurden. Vinae bemerkte ihn und wich etwas zurück. Erschrocken sah sie ihm entgegen, ihre Garde sammelte sich um sie. Doch dann gab Vinae ihren Kriegern ein Zeichen und trat zwischen ihnen hervor, direkt auf Ardemir zu. Den Kopf hochgehalten, Anmut in jedemSchritt, als wäre sie bei seinem Anblick vorhin nicht zusammengezuckt. Sie war ganz die Tochter ihrer Mutter.
»Obwohl du hier bist, schickst du mir eine Botin?« Der Drang, sie zu packen und durchzuschütteln, war beinahe übermächtig. Er wollte sie von hier fortschleifen, wollte, dass alles wieder so war wie zuvor.
Vinae blieb vor ihm stehen. »Ich wüsste nicht, worüber wir noch miteinander reden sollten, es sei denn, du hast deine Meinung geändert.«
»Du meinst, es sei denn, ich habe mich entschieden, die Königin zu verraten.«
»Nenne es, wie du willst.« Sie warf einen ihrer Zöpfe zurück über die Schulter, was in Ardemir das brennende Verlangen hervorrief, ihre Haare zu packen und die Zöpfe zu öffnen, sodass sie wieder seine Vinae wurde.
»Du eiferst jetzt also deiner Mutter nach«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Das hätte ich nicht von dir erwartet. Niemals.«
»Du scheinst zu vergessen, dass ich eine Thesalis bin. Ich bin mächtig, Ardemir, mächtiger, als du dir vorstellen kannst. Auch deine Königin scheint das vergessen zu haben. Sie unterschätzt meine Kraft, meinen Einfluss, meine Willensstärke. Ihr glaubt, ich sei immer noch das kleine Mädchen von einst, das Liadan auf den Fürstenstuhl setzte, damit sie jemanden hat, den sie kontrollieren kann. Doch ihr habt nicht bedacht, wer ich wirklich bin – eine Thesalis ! Ihr glaubt, die Piraten könnten euch Schwierigkeiten machen? Die sind nichts im Vergleich zu der Flut, die ich euch entgegensenden werde. Dies sei meine Warnung.«
»Deshalb bist du hergekommen?« Ardemir kämpfte um jedes Wort, sein Hals war wie zugeschnürt. »Um mir zu drohen ?«
»Nur weil du es bist, Ardemir, gebe ich dir diese Möglichkeitabzuziehen. Nur weil wir einst fühlten, wie wir fühlten, spreche ich diese Warnung überhaupt aus.«
»Fühlten, wie wir einst fühlten?!« Ehe er sichs versah, hatte er sie an den Oberarmen gepackt und an sich gerissen. Nur am Rande nahm er wahr, wie ihre Gardisten alarmiert näher traten und seine eigenen Ritter ebenfalls die Hände auf die Waffen legten. Sie standen inmitten eines aufkommenden Sturms, und doch kümmerte Ardemir sich nicht um die Anwesenheit der anderen. Er sah nur sie. Panische Angst toste durch seine Adern, die Verzweiflung erfüllte ihn mit einem Zittern, das den Drachen stärker werden ließ. »Wir fühlen immer noch dasselbe«, stieß er hervor und brachte sein Gesicht knapp vor das ihrige. Sie musste in seine Augen sehen, musste erkennen, was sie ihm antat. »Du liebst mich, Vin, du willst das alles genauso wenig wie ich. Du kannst doch unmöglich einen Krieg heraufbeschwören, der uns zerstört. Siehst du denn nicht, dass ich dich über alles liebe?«
Vinae rührte sich nicht und erwiderte ungerührt seinen Blick. Was war nur los mit ihr? Wo war die herzliche und sanfte Vinae?
»Über alles?«, fragte sie leise. »Über deine Königin?«
Er erstarrte, sein Griff um ihre Arme verstärkte sich.
Vinae nickte, versuchte nicht, sich von ihm zu lösen, sondern sah ihn nur an. Ganz so, als wäre er es nicht wert, gegen ihn aufzubegehren. Sie stand einfach nur da und zerstörte ihn.
»Ich habe meine Zeit genutzt, Ardemir.« Jedes ihrer kalten Worte traf ihn wie ein Pfeil in seine Brust. »Ich habe eine Armee. Und ich werde noch
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