Elfenmeer: Roman (German Edition)
wissen. »Was hat das alles zu bedeuten? Dies hier«, er wies zum Meer, »war keine Naturkatastrophe, sonst wären wir jetzt tot. Dies war Magie. Magie des Wassers. Und ich will verdammt sein, wenn ich nicht wüsste, wer zu so etwas fähig ist.«
Der Befehlshaber nickte und hob das Tuch. »Ich fürchte, Ihr habt recht, Fürst Averon.« Seine Stimme wurde noch leiser. »Die Königin wurde entführt.«
»Entführt?« Vlidarin von Valdoreen trat einen Schritt vor. Mit seinem weißgoldenen Haar und dem schmalen Gesicht war die Ähnlichkeit zu seinem Vetter Nevliin und auch zu seinem Sohn Valuar überdeutlich. »Eben war sie doch noch hier und jetzt … Es ist, als hätte das Wasser sie verschluckt.«
Der Befehlshaber nickte geistesabwesend und tauschteschließlich einen Blick mit Averon aus Riniel. »Nicht hier«, entschied er dann und sah noch einmal zurück zum Meer, wo keine Spur mehr von einem Schiff zu sehen war. »Lasst uns im Sternensaal darüber sprechen.«
Die anderen Fürsten stimmten zu und machten sich auf den Weg in die Burg. Marinel wollte ihnen folgen, doch Elrohir hielt sie zurück.
»Was tust du da?«, zischte er. »Du kannst nicht mit ihnen gehen.«
»Ich muss wissen, was hier vor sich geht! Die Königin wurde entführt, Elrohir! Sie braucht ihre Ritter!«
»Ja, aber du bist keiner von ihnen.«
Marinel zuckte zusammen und starrte ihn an. Er hatte recht, und doch schmerzten seine Worte, als hörte sie sie zum ersten Mal. Sie konnte nicht mit dem Befehlshaber und den Fürsten gehen. Sie konnte nicht herausfinden, was dieser Angriff zu bedeuten hatte. Sie war doch nur ein Stallmädchen. Doch es war ihr ebenso unmöglich, tatenlos herumzustehen und auf die bruchstückhaften Informationen und den Hoftratsch zu warten. Sie sah es immer noch als ihre Pflicht an, die Königin zu beschützen, auch wenn sie keinen Eid darauf geleistet hatte. Liadan war die Königin. Sie hielt das Reich zusammen, bewahrte es vor Kriegen und feindlichen Angriffen. Sie herrschte mit Verstand und Herz, mit eiserner Hand und Gerechtigkeit. Was sollte aus Elvion werden, wenn diese Elfe keinen Einfluss mehr ausübte? Wenn solch schändliche Taten ungesühnt blieben? Das Reich würde erneut in Dunkelheit versinken, und Marinel hatte in ihren zweihundertacht Jahren genügend Kämpfe und Kriege erlebt, um alles für die Verhinderung eines weiteren zu tun. Endlich hatte Elvion eine wahre Königin erhalten und Frieden gefunden. Dieser durfte nicht zerstört werden.
Marinel würde die Königin befreien, ja, das schwor sie sich, aber dazu musste sie erst mal wissen, wo sich die Königin befand. Sie musste den Befehlshaber von ihrer Nützlichkeit überzeugen. Der beriet sich aber immer noch mit den Fürsten im Sternensaal, und so wartete Marinel in der Eingangshalle der Burg auf sein Erscheinen – gemeinsam mit unzähligen anderen Neugierigen, die bald schon die Halle füllten. Ritter, Adelige, Bedienstete, Händler und Kaufleute aus der Stadt, Kobolde, Elfen – sie alle drängten sich zu einem bunten Wirrwarr in dem von silbernem Miranlicht erhellten Raum. Ihre Schatten flackerten über die kahlen Felswände, und manche der Anwesenden tummelten sich sogar auf den beiden Treppen links und rechts der Halle. Andere erklommen die höher gelegenen Galerien, von denen aus sie das Geschehen überblicken konnten. Marinel hatte sich einen Platz nahe dem zweiflügeligen Tor zum Thronsaal gesichert. Von dort hatte sie die Tür zum Sternensaal im Auge und wartete ungeduldig auf Neuigkeiten. Was war nur mit der Königin geschehen? Wie war die Welle entstanden, und warum hatte sie keinen größeren Schaden angerichtet?
Unzählige Ritter gingen im Sternensaal ein und aus, und irgendwann drängte sich eine ganze Kolonne durch die Menge und scheuchte Elfen wie Kobolde nach draußen in den Hof.
»Verlasst die Burg!«, riefen sie. »Ihr könnt hier nichts ausrichten. Geht nach Hause. Der Regent wird euch wissen lassen, wenn eure Hilfe vonnöten ist. Geht nach Hause.«
Mit Schilden und quergelegten Speeren drängten sie die Massen hinaus, doch Marinel hielt sich im Schatten einer Steinsäule und wurde ignoriert. Sie wusste nicht, ob die Ritter sie tatsächlich übersahen oder mit Absicht unbehelligt ließen. Seit ihrem Unfall bei der Prüfung wurde sie von vielen mit Mitleid bedacht, was sie oft nur noch wütender machte. Siewusste, dass Elrohir wieder im Stall bei seinen Pferden war, und eigentlich hätte auch sie dorthin zurückkehren sollen, doch
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