Elfenmeer: Roman (German Edition)
gewann er wieder die Kontrolle über seinen Körper. Nur noch ein paar Augenblicke, dann konnte er sich wieder auf die wichtigen Dinge konzentrieren.
Ein Klopfen ertönte in seinem Rücken, und Ardemir fluchte. Einen Moment lang erwog er, den Türknauf zu packen und festzuhalten, sodass niemand ihn stören konnte, doch er war jetzt für das Land verantwortlich. Er war der Regent über Elvion.
Also richtete er sich auf, rückte den Brustpanzer seiner Silberrüstung zurecht und sagte »Herein«, ohne sich dabei die Zunge abzubeißen.
Die Tür schwang auf, und Ardemirs Herz machte einen Satz. Er musste blinzeln und schalt sich selbst einen Narren, als er in Vlidarins Gesicht blickte. Der Fürst von Valdoreen sah seinem verstorbenen Vetter so ähnlich, dass Ardemir durch den Nebel seiner immer noch anhaltenden Schmerzen Gespenster gesehen hatte. Dabei war Nevliin doch schon so lange tot, und Ardemir müsste Vlidarins Anblick gewohnt sein, vor allem, da Ardemir ja auch dessen Sohn die letzten hundert Jahre ausgebildet hatte. Auch Valuar zeigte die unvergleichlichen Merkmale der Fürstenfamilie. Im Anbetracht all der Magie und Verwirrung um ihn herum hätte es ihn aber auch nicht überrascht, plötzlich den verstorbenen Helden Elvions vor sich stehen zu sehen.
»Komme ich ungelegen?«, wollte der Fürst wissen und blickte Ardemir aufmerksam ins Gesicht – etwas, was Ardemir hasste wie kaum etwas anderes. Er konnte es nicht leiden, zu genau betrachtet zu werden, denn ihm war immer bewusst, dass der Drache in ihm steckte.
Er bemühte sich, ungerührt zu erscheinen, schüttelte den Kopf und trat zur Seite. »Ist Valuar schon aufgebrochen?«, fragte er und ging über die lebendig wirkende Karte zu den in den Stein gehauenen Sitzreihen zu seiner Linken. Er konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, an wie vielen Ratssitzungen er bereits in dieser Halle teilgenommen und wie oft er auf diesen Stufen Platz genommen hatte. Als Befehlshaber über die Bogenschützen, als Neffe eines Königs, als Vetter eines Königs, dann als Vetter einer Königin und jetzt als Befehlshaber über die Silberritter und Regent. Wo war all die Zeit nur hin und was hatte sie aus ihm gemacht?
Vlidarin schloss die Tür hinter sich und folgte ihm zu den Stufen. »Mein Sohn brach vor wenigen Augenblicken gemeinsam mit den Rittern auf. Genauso der Fürst von Riniel.«
Ardemir nickte und blickte zur anderen Saalseite, wo ein gewaltiger Baum aus dem Boden wuchs und sich einem magischen Sternenhimmel entgegenstreckte. Der Stamm war mit der Steinwand verwachsen, und die beindicken Wurzeln krochen aus der Karte, als stünden sie in satter Erde.
Meist half ihm der Blick auf den Baum, um wieder etwas Ruhe und Klarheit zu finden, doch an einem Tag wie diesem war auch das vergebens. Ungewissheit nagte an ihm, und dass er dem Fürsten von Riniel nicht traute, machte alles nur noch schlimmer. Blieb nur zu hoffen, dass Valuar stark genug war, um sich gegen den Fürsten durchzusetzen, und ein gewisses Maß an Kontrolle über die Flotte zu Liadans Befreiung behielt. Dass Averon mehr Wert auf die Vernichtung der Piraten als auf Liadans unversehrte Rückkehr legte, war nicht schwer zu erraten.
»Ist Valuar dieser Aufgabe gewachsen?«, fragte er in die Stille hinein.
Vlidarin trat an seine Seite und blickte ebenfalls zum Baum – dem Zeichen für das Schicksal, das den Weg aller Seelen Elvions beherrschte. »Er wird Euch nicht enttäuschen. Er verfügt über große Fähigkeiten, das wisst Ihr.« Er klang ein wenig beleidigt, aber Ardemir war sich nicht so sicher, ob es klug gewesen war, der Bitte Vlidarins nachzugeben und Valuar den Oberbefehl zur Befreiungsmission zu erteilen. Ardemir wusste, dass Vlidarin seinem Land einen Helden schenken wollte, so, wie Nevliin einst einer gewesen war. Und was – wenn nicht die Befreiung der Königin aus Piratenhand – machte einen Ritter zum Helden? Trotzdem war Valuar noch unerfahren, und dass Marinel ihn begleitete, konnte die Sache entweder sehrpositiv oder aber sehr negativ beeinflussen. Ardemir hatte die beiden noch immer nicht durchschaut.
Sein Problem war, dass er die erfahrenen Ritter nicht gegen die Piraten aussenden konnte, denn die brauchte er selbst. Nur die erfahrensten Kämpfer hatten bereits den Wiedervereinigungskrieg und die Sonnentaler Rebellion erlebt, und nur sie hatten bereits genug verloren, um Liadan auf ihrer weltverändernden Mission zu folgen. Nur ihnen konnte das größte Geheimnis Elvions
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