Elfenmeer: Roman (German Edition)
schwimmenden Fortbewegungsmittel erschlossen sich ihr erst durch den Blick auf das zweite Schiff, das ein Stück entfernt vor sich hin schaukelte. Es musste jenes des Feuerprinzen sein – die Ewigkeit . Auch dort tanzten unzählige Lichtpunkte durch die immer schwächer werdende Dunkelheit, und huschende Silhouetten bewegten sich wie Geister.
Bisher hatte sie erst zweimal ein Schiff betreten, und das lag lange zurück, zudem waren jene Schiffe um vieles kleiner gewesen – Kähne mit ein oder zwei Masten. Zwar hatte sie schon Schiffe in der verborgenen Bucht von Lurness anlegen sehen, aber auch das war nur selten vorgekommen. Ihre Ritter und Bediensteten hatten für sie Reisen durch ganz Elvion und zu den entfernten Inseln unternommen. Sie selbst lebte in der Burg von Lurness – dem sichersten Ort im Elfenreich –, und dementsprechend verließ sie diesen Königinnensitz kaum. Es wurde von ihr erwartet, dass sie dort blieb und sich nicht in Gefahr brachte und dass die Leute wussten, wo sie sich befand, damit sie immer für sie da sein konnte. Die Königin gehörte nach Lurness, so, wie es vorgesehen war, und nicht auf das Schiff einer überkandidelten Menschenfrau.
Liadan legte ihre Unterarme auf die Reling und blickte ins schwarze Wasser hinab. Sie mochte nicht daran denken, dass all ihre Arbeit, alles, wofür sie so lange und hart gekämpft hatte, von ein paar Piraten gefährdet wurde. Ardemir musstedie Minen sichern, er durfte nicht zulassen, dass die Piraten die Schattenkristalle vernichteten. Sie waren alles, was sie für ein sicheres Elvion hatte. Sie waren die Zukunft.
»Majestät?«
Liadan blickte hoch und sah sich dem Menschenjungen Chip gegenüber, der ihr grinsend einen Holzbecher entgegenstreckte. Ein Gleichaltriger stand hinter ihm und scheuchte seinen Kumpan kichernd mit einer Handbewegung weiter vor. »Na los«, flüsterte er, doch Liadan konnte ihn sehr gut verstehen. »Mach endlich.«
»Majestät, also ich …«
Liadan blickte auf den Becher und wieder zurück ins bronzefarbene Gesicht des Jungen.
»Wasser«, krächzte dieser und warf einen unsicheren Blick zurück über die Schulter zu seinem Freund. »Ich dachte, Ihr wärt vielleicht …« Er räusperte sich und kicherte, als hätte er seinen Verstand verloren. »Nun ja, ich … wenn ich irgendetwas tun kann, um Euch den Aufenthalt auf diesem Schiff angenehmer zu gestalten …«
»Wir kennen die Kapitänin gut«, ließ sich nun der andere vernehmen und wagte sich einen Schritt vor. »Chip ist ihr Bruder, und bald schon wird er sein eigenes Schiff befehligen. So wie ich. Also wenn Ihr etwas braucht … wie Chip schon sagte, wir …«
»Ihr lebt immer noch?« Plötzlich erschien ein Elf neben den beiden und drängte sie mit seiner höher gewachsenen Gestalt zurück. »Ich dachte, Nayla hätte Euch schon längst erschlagen.«
» Kapitänin Nayla«, verbesserte Chip mit funkelnden Augen und ballte die freie Hand zur Faust. »Hast du eine Erlaubnis, ihr Schiff zu betreten, hm?«
»Hast du eine Erlaubnis ihr Schiff zu betreten?«, äffte derElf die höhere Stimme des Jungen nach und schüttelte lachend den Kopf. Mit einer Handbewegung scheuchte er die beiden davon und erntete wutentbrannte Blicke aus dunklen Augen. Es war nicht schwer zu erkennen, dass der Elf hier nicht besonders gern gesehen wurde, und Liadan beschloss, sich dies gut zu merken. Sie wusste nicht, wofür es ihr später nützlich sein würde, doch solange sie hier war, musste sie so viel wie möglich über den Korallenfürsten und seine Piraten in Erfahrung bringen. Denn später, wenn sie befreit worden war, musste sie sich etwas einfallen lassen, um wirksam gegen diese Bande vorzugehen. Der Fürst von Riniel kämpfte schon seit Elfengedenken gegen die Piraten, und bislang waren sie nur eine Unannehmlichkeit der Meere gewesen, doch jetzt stand mehr auf dem Spiel. Jetzt mischten sie sich in die Angelegenheiten des Landes ein, und das musste verhindert werden.
»Ich entschuldige mich für die Belästigung«, wandte der Elf sich ihr plötzlich zu, und als Liadan ihn im heller werdenden Licht genauer betrachtete, erkannte sie, dass er gar kein Elf war. Wie hatte ihr das zuvor nur entgehen können? War es sein hoher Wuchs gewesen oder die melodiöse Art, die elfische Sprache zu nutzen? Es spielte keine Rolle, denn das völlige Fehlen von Magie in seiner Aura ließ keinen Zweifel. Dies hier war ein Mensch. Oder zumindest … Ihr Blick flog zu seinen Ohren und sie erkannte, dass
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