Elfenmeer: Roman (German Edition)
die Enden etwas länger waren und spitz zuliefen. Da er sein Haar fast zur Gänze geschoren hatte und nur ein paar dünne Streifen stacheliges Gold von der Stirn zum Nacken zurückführten, konnte sie den Beweis deutlich sehen.
Er musste ein Halbelf sein! Liadan war seit Vanora keinem mehr begegnet, und so war sie einen Moment lang erstaunt. Dabei war seine Existenz doch gar nicht so verwunderlich, bedachte man, dass hier Elfen mit Menschen zusammenlebten.Und wenn sich alle so verhielten wie die Kapitänin Nayla und der Feuerprinz …
»Ihr gehört nicht auf dieses Schiff?«, fragte sie, sich an Chips Worte erinnernd, um mehr zu erfahren.
Der Halbelf nickte mit einem freundlichen Lächeln und wies über das Wasser. »Nein, Majestät. Ich komme von der Ewigkeit und habe meinen Vater hierher begleitet. Auch wollte ich einen Blick auf Euch werfen.«
Liadan legte den Kopf schief und betrachtete den Halbelfen nun noch etwas genauer. Mandelförmige Augen in einem warmen, sehr hellen Braunton beherrschten sein Antlitz. Sie lagen über einer geraden Nase und schmalen Lippen. An den Mundwinkeln waren feine Linien in die weiße Haut gezeichnet, die ihm einen bitteren Zug verliehen. Es war schwer, diesen Mann einzuschätzen, und als er plötzlich einen Schritt näher trat und sich neben ihr gegen die Bordwand lehnte, war ihr dies unangenehm.
»Ihr müsst wissen«, flüsterte er, ohne seinen Blick vom heller werdenden Horizont abzuwenden, »dass Ihr hier nicht allein seid.«
Liadan erstarrte und wiederholte in Gedanken seine Worte. Dann drehte sie sich um, damit sie in dieselbe Richtung blickte wie er, und widerstand dem Drang, zu ihm hochzusehen, um in seinem Gesicht zu lesen. »Wie soll ich das verstehen?«, flüsterte sie zurück, und da lehnte sich der Halbelf noch etwas weiter zur ihr herüber.
»Magie ist nicht jedermanns Freund«, flüsterte er so leise, dass sie ihn über dem Rauschen des Meeres kaum hörte, doch als sie den Sinn dieser Worte begriff, konnte sie ein Luftschnappen nicht verhindern.
Mit immer schneller schlagendem Herzen blickte sie zu dem Halbelfen hoch, der bereits so dicht neben ihr stand, dasser sie fast berührte. Langsam und um Unauffälligkeit bemüht hob er sein von Salzwasser verblichenes Hemd bis zur Brust hoch und wies mit dem Kinn darauf.
Liadan senkte den Blick und versuchte im Schatten der Lampen etwas zu erkennen, doch dann sah sie die gerötete und zerfurchte Haut, die seinen Bauch bis hoch zur Brust entstellte.
»Der Sohn des Feuerprinzen zu sein, bringt nicht immer Vorteile mit sich«, flüsterte er tonlos und ließ sein Hemd wieder sinken.
Liadan sah zu ihm hoch. »Der Feuerprinz ist Euer Vater? Und er hat Euch das angetan?« Allmählich wich ihr mühsam auferlegter Gleichmut, und sie musste sich beherrschen, um nicht lauter zu sprechen. »Er hat Euch verbrannt.«
»Nicht absichtlich. Das tut er nie.«
Etwas in diesen Worten ließ sie aufmerken. Der Halbelf sprach ruhig, und doch lag Bitterkeit in seinem Tonfall. Sie musste mehr über ihn erfahren. Wenn der Feuerprinz sein Vater war, dann … »Die Kapitänin Nayla – ist sie Eure Mutter?«
Der Halbelf riss die Augen auf und sah sie einen Moment lang an, als hätte er ein dummes Kind vor sich, doch dann schüttelte er den Kopf. »Nayla ist neunzehn Jahre alt, Majestät. Ich bin einhundertdrei.«
»Oh.«
Natürlich! Nayla war doch ein Mensch und hatte kaum das Erwachsenenalter erreicht. Sie konnte unmöglich einen erwachsenen Sohn haben. Es fiel Liadan immer noch schwer, in Menschenjahren zu denken. »Und Eure Mutter?«, fragte sie nach, um sich ein klareres Bild der Familienverhältnisse zu verschaffen, doch der Halbelf wandte sich ab.
»Da kommt der Korallenfürst«, sagte er lediglich mit einem Wink zum Meer hinaus und schritt davon zur Treppe, die Liadanvorhin heraufgekommen war. Liadan kniff die Augen zusammen und versuchte auf der schier unendlichen Weite dieser wogenden Decke etwas zu erkennen, und tatsächlich meinte sie Segel in einiger Entfernung auszumachen. »Was …« Sie drehte sich zu dem Halbelfen um, doch der war bereits fort. Aber das machte nichts. Fürs Erste wusste sie genug. Der Halbelf kannte ihren Plan, und er behauptete, auf ihrer Seite zu stehen. Noch war nicht alles verloren.
Nayla
»Was glaubst du eigentlich, wer du bist?« Nayla versuchte sich aus dem stählernen Griff um ihre Beine zu befreien, aber Avree hielt sie so fest umklammert, dass sie keine Möglichkeit hatte, sich zu bewegen.
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