Elfennacht 01. Die siebte Tochter
wich einen weiteren Schritt zurück, spürte aber schon die getäfelte Wand in ihrem Rücken. Er legte ihr die Hände auf die Schultern, hielt sie fest.
»Du musst mir zuhören!«, sagte er.
Sie schlug seine Hand weg und rammte ihm einen Arm gegen die Brust, dass er nach hinten taumelte.
»Fass mich nicht an!«
»Tut mir leid«, keuchte er. »Aber du musst die Wahrheit erfahren.«
»Ach, was weißt du denn schon von der Wahrheit? Du hast mich doch angelogen, seit wir uns das erste Mal begegnet sind!«, schrie sie. »Raus! Raus hier!« Mit erhobenen Fäusten stürzte sie auf ihn zu.
Er wich zurück und hob die Hände, um sich notfalls verteidigen zu können.
»Was ist das hier für ein Tumult?«, fragte jemand vom anderen Ende des Raums her.
Gabriel stand in der offenen Tür. Im Halbdunkel schimmerten seine Augen wie Monde.
»Gabriel!«, stieß sie erleichtert aus.
Der Elfenlord stürmte in den Raum und blickte seinen Diener finster an. »Edric? Was treibst du hier im Schlafgemach der Prinzessin?«
Edric sank auf ein Knie nieder und neigte den Kopf. »Mylord«, sagte er. »Ich bin hergekommen, um die Prinzessin um Verzeihung zu bitten, dass ich ihr in der Welt der Sterblichen Zuneigung vorgespielt habe. Ich wollte ihr erklären, dass alles, was ich getan habe, lediglich ihrem Wohl diente.« Er blickte kurz zu Tania hoch. »Ich wünschte so sehr, Ihr könntet mir vergeben.«
Tania starrte ihn voller Verachtung und Abscheu an. »Da hast du dich aber geschnitten!«, fauchte sie.
Unwillkürlich griff sie nach dem Bernsteintränentropfen, der ihr um den Hals hin g – den Anhänger, den ihr der Junge geschenkt hatte, von dem sie geglaubt hatte, er würde sie lieben. Am liebsten hätte sie sich die Kette vom Hals gerissen und Edric ins Gesicht geschleudert.
Gabriel hob die Hand, um sie daran zu hindern. »Nicht, Mylady«, sagte er. Sie starrte ihn an: Hatte er ihre Gedanken gelesen? »Der Bernstein war kein Geschenk dieses Mannes, sondern von mir. Ich wollte ihn Euch eigentlich in der Nacht vor unserer Hochzeit überreichen.«
Tania blinzelte. »Oh.«
»Nur dank dieses Bernsteins konnte ich überhaupt in die Welt der Sterblichen gelangen und Euch zurück nach Hause bringen«, sagte Gabriel. »Solange Ihr ihn tragt, werde ich Euch überall und immer finde n – sowohl in dieser als auch in der anderen Welt.«
Der Anhänger glühte in ihrer Hand.
Gabriel wandte sich wieder an seinen knienden Diener. »Hinfort mit dir«, knurrte er. Seine Stimme klang jetzt eiskalt. »Wenn du dich noch einmal Prinzessin Tania aufdrängst, wird es dir schlecht ergehen.« Er zeigte warnend auf ihn. »Hüte dich vor dem Bernsteingefängnis, Master Chanticleer! Hüte dich!«
Wie ein geprügelter Hund schlich Edric aus dem Raum. Tania war froh, dass er ging, obwohl er ihrer Meinung nach mehr verdient hatte als nur einen Tadel. Als sich die Tür hinter ihm schloss, ergriff Gabriel Tanias Hände.
»Hiermit entschuldige ich mich in aller Form für das Benehmen meines Dieners«, sagte er. »Ich wollte Euch nicht solchen Verdruss bereiten.« Er lächelte sie an. »Diese ganze Welt muss sehr verwirrend für Euch sein und sicher habt Ihr noch zahlreiche Erinnerungen an Euer sterbliches Leben. Ich wünschte, ich könnte Euer Leiden lindern.«
»Ja, irgendwie ist es schon ganz schön abgefahren«, stimmte Tania zu. »Aber ich denke, ich werde damit klarkommen, früher oder später.«
»Ich bete inständig, dass dem so sei.«
Sie blickte ihm ins Gesicht. »Das geschieht alles wirklich, nicht wahr?«, sagte sie ruhig.
»Ja.« Er sah sie an und lächelte sie aufmunternd an.
Sie runzelte die Stirn. »Da… da, wo ich herkomme«, begann sie zögernd, »war Edric ein echter Mensch aus Fleisch und Blut. Aber du warst irgendwie nicht richtig dor t – durch dich konnte ich hindurchsehen. Wie kommt das?«
»Ich habe Edric zu Euch geschickt«, entgegnete er. »Er wurde von schwarzem Bernstein beschütz t – das ist ein seltener Stein, der vor Isenmort schützt.«
»Sein Armband«, sagte Tania. »Deshalb hat er es immer getragen.«
»Fürwahr«, sagte Gabriel. »Es abzunehmen, wäre lebensgefährlich für ihn gewesen. Ich hingegen, Mylady, war nur ein Bild in Eurem Kopf.«
»Aber ich habe dich doch berühr t – auf dem Balkon, da habe ich deine Hand genommen.«
Gabriel lächelte sie liebevoll an. »Das war nicht mein Verdienst, Mylady, das habt Ihr durch Eure eigene Kraft geschafft: Ihr habt über die Welten hinweg nach mir
Weitere Kostenlose Bücher