Elfennacht 01. Die siebte Tochter
schauderte und verzog das Gesicht. »Mylady, es steht mir nicht zu, diese Bitte vorzubringen, das ist mir wohl bewuss t – aber ich bitte Euch, uns nicht zu verlassen. Der König würde es nicht ertragen.« Sie berührte eine der roten Blüten. »Und ich möchte nicht, dass diese Blüten abermals fünfhundert Jahre des Dämmerlicht ertragen müssen und verdorren. Wahrlich, das möchte ich nicht.«
Tania blickte die Frau eine Weile wortlos an.
»Ich habe nie vorgehabt, für immer wegzugehen«, sagte sie schließlich. »Ich wollte nur meine Eltern wiedersehen, mehr nicht.«
Die Frau starrte sie überrascht an. »Euer Vater weilt in diesem Reich, Mylady«, sagte sie. »Und Eure Mutter ist tot. Aus welchem Grund solltet Ihr zu jenen Wesen zurückkehren wollen, die Euch in der anderen Welt gefangen hielten?« Jetzt war ihr Blick voller Abscheu. »Sicherlich fühlt Ihr Euch nicht verwandt mit jenen verderbten Dämonen?«
»Das sind doch keine Dämonen!«, rief Tania aus.
Die Frau kniff missbilligend die Lippen zusammen, senkte dann den Kopf und sagte keinen Ton mehr.
Tania schluckte, plötzlich hatte sie einen Kloß im Hals. Niemand hier verstand, wie schwer es für sie war! Alle benahmen sich gerade so, als wäre sie einem Gefängnis entronne n – als müsste sie dankbar dafür sein, dass man sie aus der Welt der Sterblichen entführt und an diesen verrückten Ort gebracht hatte.
Sie wandte sich ab und entfernte sich rasch von der Gärtnerin. Ihr kam es vor, als würde jeder im Elfenreich Forderungen an sie stellen und das gefiel ihr nich t – sie hatte schließlich nicht darum gebeten, eine Prinzessin zu sein!
Sie wollte doch nur das Leben einer ganz normalen Sechzehnjährigen führen: In ihrem Zimmer mit einer Dose Cola und einer großen Tüte Chips mit ihren Freundinnen DVD s gucken. Die Treppen in einem Satz hinunterspringen und über die schwachen Witze ihres Vaters stöhnen. Den Kühlschrank plündern, Milch aus der Tüte trinken und die Pizzareste in sich reinstopfen. Neue Schuhe kaufen gehen. Die halbe Nacht mit Jade telefonieren und einen ganzen Nachmittag lang in der Einkaufspassage ausgefallene Klamotten anprobieren, die sie nie im Leben kaufen würde.
Wütend stürmte sie durch den Garten, ohne darauf zu achten, wohin sie ging. Plötzlich erblickte sie in der Ferne ein paar Gestalten.
Es waren Männer, die um einen Brunnen herumstanden und miteinander sprachen. Als Tania näher kam, merkte sie, dass sich Gabriel unter ihnen befand. Sie hielt es für das Beste, ihm im Moment aus dem Weg zu gehe n – zumindest, bis sich ihre Laune etwas gebessert hatte. Deshalb machte sie kehrt und ging denselben Weg zurück, den sie gekommen war.
Als sie hinter sich hastige Schritte vernahm, blieb sie resigniert stehen.
»Tania?« In Gabriels Stimme schwang Besorgnis mit. »Warum kommst du nicht näher?«
Sie blickte ihm in die Augen und fand dort nichts als Zuneigung und Güte. »Es ist nichts«, sagte sie.
Stirnrunzelnd kam er näher und legte ihr sanft eine Hand auf die Schulter. »Das glaube ich dir nicht«, sagte er. »Kann ich nicht helfen? Ich möchte gern dein Freund sein.«
»Du bist doch mein Freund«, sagte Tania voller Inbrunst. »Wirklich! Aber ich muss nachdenke n – und dabei kannst du mir nicht helfen.« Sie sah ihm ins Gesicht. »Ich weiß, was du sagen wirs t – ich weiß, was ich deiner Meinung nach tun sollte. Aber es ist einfach unfair.«
Er strich ihr sanft über die Wange. »Ich würde alles darum geben, dir solchen Gram und Kummer zu ersparen!«, flüsterte er.
»Ich weiß.« Sie spürte plötzlich ein unendliches Verlangen, im Arm gehalten und getröstet zu werden. Etwas unbeholfen ging sie auf ihn zu und schmiegte sich an ihn.
»Tani a …«
Sie spürte seinen Atem in ihrem Haar, als er ihre Umarmung erwiderte.
Nach einigen Augenblicken entzog sie sich ihm wieder. »Mir geht es gut«, sagte sie. Doch sie mied seinen Blick. »Bitte folge mir nicht.« Sie legte ihm flüchtig die Hand auf die Brust, dann ging sie rasch davon.
Sie versuchte, jeden Gedanken an Gabriel Drake zu verdrängen. In ihrem Kopf herrschte schon genug Durcheinander, auch ohne Gabriel.
Tania spazierte alleine in der Gartenanlage herum, fand aber trotzdem keine Ruhe.
Zu guter Letzt gelangte sie zu einer Steinbrücke, die über einen Bach führte. Auf der anderen Seite bemerkte sie eine hohe Hecke mit einem Holztor darin. Dahinter befand sich das leicht ansteigende Parkgelände und in weiter Ferne erspähte
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