Elfenzeit 1: Der Hauch der Anderswelt - Schartz, S: Elfenzeit 1: Der Hauch der Anderswelt
Mitte des Brunnens. Aus ihren geöffneten Rachen sprudelte Wasser, ihre Fratzen zeigten Verachtung. Der Grogoch erinnerte sich, dass sie einst Fanmórs Missfallen erregt hatten und seither als Wasserspeier dienen mussten. Kleine schillernde Vögel badeten am Rand im Wasser und saßen zwitschernd auf den Köpfen der Gargoyles, ungeachtet des Herbstes um sie herum.
Pirx traf kurz darauf ein; er war oft mit dem Grogoch zusammen und hatte früher mit den Zwillingen gespielt, als sie alle drei Kinder gewesen waren.
Ratlos saßen sie zusammen, immer noch wie gelähmt. Keiner wusste, was er sagen sollte.
Schließlich sagte Dafydd mit leiser Stimme: »Ich kann es mir einfach nicht vorstellen. Was wird jetzt mit uns geschehen?«
»Wir werden sterben«, antwortete der Grogoch.
»Aber wann?«
»Das kann niemand wissen, mein Prinz. Ich nehme an, dass es unterschiedlich verlaufen wird. Beim einen schneller, beim anderen langsamer. Rhiannon und du, ihr habt bestimmt eine lange Zeit vor euch. Euer Leben hat ja kaum begonnen, in euch ist noch sehr viel Kraft. Dasselbe gilt für Pirx. Was mich betrifft …« Der Grogoch sprach nicht weiter.
»Ich habe mir nicht vorstellen können, wie es ist, ewig zu leben«, meinte Rhiannon leise. »Wenn Vater uns eine Geschichte aus der Vergangenheit erzählt, so ist das immer noch greifbar. Aber was bedeutet die Ewigkeit?«
»Ich glaube, es ist ziemlich müßig, jetzt noch
darüber
nachzudenken«, antwortete Dafydd sarkastisch. »Aber ich gebe dir recht, Schwester: Ich kann mir das eine wie das andere nicht vorstellen, und ich weigere mich, dieses Urteil anzuerkennen. Ich werde ab sofort nur für den Augenblick leben, und alles andere mag mich nicht kümmern. Es ist sowieso nicht zu ändern, oder?«
Niemand sagte etwas, und er drehte sich schmollend zum Brunnen und tauchte die Hand ins Wasser.
»Was passiert, wenn wir vergehen?«, fragte Pirx vorlaut.
»Hört auf damit!« Rhiannon hob die Hände. »Dafydd hat recht. Ich will nicht den Rest meines Lebens, was immer das bedeuten mag, in Angst verbringen. Wir wissen es, wenn es so weit ist. Alles andere ist sinnlos.«
»Hab ich doch gesagt«, murrte der Prinz.
Er sah auf, als eine Dienerin zu ihnen kam: eine kleine, dünne Elfe mit kurzen, wirren braunen Haaren. Sie trug ein Kleid, das viel zu groß war, und bewegte sich linkisch. In ihrer rechten Hand hielt sie einen Staubwedel.
»Euer Vater wünscht Euch zu sehen, königliche Hoheiten«, meldete sie. Sie sah den Grogoch und Pirx an. »Euch zwei ebenfalls.« Ihrer geringschätzigen Miene war anzusehen, dass sie sich fragte, warum die beiden Wichte ausgerechnet zum Herrscher gerufen wurden. Die beiden genossen keinen besonderen Status in der Hierarchie des Baumschlosses.
»Danke, Nuala«, sagte Rhiannon freundlich. »Wir kommen sofort.«
Die Elfe verbeugte sich und verschwand. Der Grogoch wunderte sich, dass Fanmór ausgerechnet eine für den Haushalt zuständige Dienerin als Botin geschickt hatte. Gerade der Herrscher hielt sich sonst immer streng ans Protokoll, Disziplin ging ihm über alles. Andernfalls, das betonte er immer, gäbe es keine Ordnung und ein riesiges Reich wie Earrach könne ohne eine solche Ordnung nicht regiert werden.
Aber in diesen Tagen verändert sich wohl alles
, dachte er und dachte voller Grauen an die Zukunft.
Pirx sprang auf und schüttelte stolz die Stacheln. »Er will mich sehen!«, piepste er aufgeregt. »Habt ihr das gehört?
Mich!
«
»Ich glaube, du hast ihn beeindruckt«, vermutete der Grogoch mit gutmütiger Miene.
Mit stolzgeschwellter Brust hüpfte der kleine Pixie vor den Zwillingen her. Den Anlass für diese unerwartete Aufmerksamkeit hatte er wohl vergessen.
Der Riese empfing sie in einem kleinen Audienzraum, wo er, die Arme auf dem Rücken verschränkt, vor dem großen Fenster stand und sinnend nach draußen blickte.
»Ihr wolltet uns sprechen, Gebieter?«, sagte Rhiannon und verbeugte sich.
Fanmór wandte sich ihnen zu. »Ich habe mit euch zu reden.« Er wies auf einen schmalen Tisch. »Setzt euch!«, befahl er ohne weitere Förmlichkeit.
Verdutzt ließen sich alle vier an dem Tisch nieder. Heinzelmännchen, die kleiner waren als Pirx, erschienen. Die Wesen mit ihren langen, nach oben gerichteten Nasen, den spitzen Ohren und den braunen, runzligen Gesichtern trugen bunte Mützen, weite Hemden und Latzhosen mit vielen Taschen. Pirx schaute einen von ihnen böse an, weil er eine rote Mütze trug, sagte aber keinen Ton. Die kleinen
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