Elfenzeit 11: Merlins Erwachen - Hartmann, C: Elfenzeit 11: Merlins Erwachen
das Rascheln in ein hasserfülltes Flüstern, das ihr Drohungen entgegenschleuderte.
Miststück!
Elende Hure!
Du hast Guy nicht verdient, du undankbares Weib!
Sie wich einige Schritte zurück, weil das Knarren eines Baumstammes, der sich im Wind wiegte, in ihren Ohren klang wie das Knurren eines wütenden Tieres. Dabei verfing sie sich mit den Haaren in den dornigen Zweigen eines Brombeerbusches. Schmerzhaft rissen die Dornen an ihrer Kopfhaut.
Eleanor schrie auf und versuchte, sich zu befreien, doch je mehr sie zog, desto größer wurde der Schmerz. Schließlich hielt sie schwer atmend inne und zwang sich, sich zu besinnen.
Miststück!
, glaubte sie eine flüsternde Stimme ganz dicht neben ihrem Körper zu hören.
»Ich wollte ihm nicht wehtun!«, schrie sie verzweifelt auf. »Bitte, lass mich los!« Sie hatte ihre Haare direkt an der Kopfhaut umfasst, um dem schmerzhaften Reißen zu entgehen. »Bitte!«, flüsterte sie noch einmal.
Tränen rannen ihr über die Wangen. Eine davon fiel zu Boden und traf auf ein verwelktes Blatt vom Vorjahr. Für einen Augenblick blieb sie darauf liegen wie eine winzige silberne Perle, dann kullerte sie nach unten und kam schließlich auf dem Waldboden auf.
Ein Zittern durchlief das Brombeergebüsch. Und plötzlich war Eleanor frei.
»Danke!«, hauchte sie und lief angsterfüllt weiter, ohne sich noch einmal umzudrehen. Immer tiefer hinein in den Wald.
Unruhig wanderte Rian in ihrem Zelt auf und ab. Was hatten sie mit David vor? Wie hatte alles nur so unendlich schiefgehen können? Wieder und wieder öffnete und schloss sie ihre Hände, um vielleicht doch noch einen Elfenzauber zu wirken, doch als sie begriff, dass die Soldaten jede einzelne ihrer Gesten genauestens registrierten, ließ sie die Arme sinken.
»Was machen sie mit ihm?«, fragte sie einen der Soldaten. »Bitte! Sagt es mir!«
Der Mann antwortete ihr nicht.
Gleich darauf vermeinte sie, einen Schrei zu hören. Lang gezogen und qualvoll hallte er durch das Lager, war allerdings zu verzerrt, um erkennen zu lassen, wer ihn ausgestoßen hatte.
»David?« Tränen schossen Rian in die Augen. »Bei allen Göttern! David!« An Ort und Stelle sank sie zu Boden und bedeckte das Gesicht mit den Händen.
Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie so dagesessen hatte, als draußen vor dem Zelt Schritte laut wurden. Der Zelteingang öffnete sich, und Rian hob den Kopf.
Es war Jean, der zu ihr trat.
Sie sprang auf die Füße und wischte sich die Tränen vom Gesicht. »Wo ist David?«, fuhr sie den Medikus an. »Was geschieht mit ihm?«
»Oh, er befindet sich in guten Händen, glaubt mir.«
Erneut erklang der qualvolle Schrei, und diesmal war sich Rian sicher, dass er von David kam. Sie spürte, wie ihr schon wieder die Knie weich wurden. »Was tun sie mit ihm?«, hauchte sie.
Jean antwortete ihr nicht direkt. »Der Herzog«, sagte er stattdessen, »ist recht ungehalten, dass Ihr das Heer daran hindert, seinen Weg fortzusetzen.« Er lachte leise.
Rian sah ihm ins Gesicht. Er schien sich über etwas zu amüsieren. Seine Pupillen waren ein wenig geweitet, und er schluckte ein ums andere Mal trocken.
Was stimmt hier nicht?
, schoss es Rian durch den Kopf. Er sah aus, als sei er … vergiftet worden.
Gift!
Ihr Kopf schoss hoch. Konnte es sein, dass jemand die Menschen im Lager vergiftete und ihr und David die Schuld in die Schuhe schob?
»Ihr seid krank!«, rief sie aus. »Ihr …«
Jean brachte sein Gesicht ganz dicht an ihres, und sie konnte seinen Atem riechen. »Krank? Oh ja. Weil Ihr mich verhext habt!«
Rian verzog das Gesicht. Dieser Geruch … kam ihr bekannt vor; sie wusste nur nicht, woher.
»Mein Bruder und ich sind keine Zauberer!«, widersprach sie.
Zur Antwort erhielt sie eine Ohrfeige, die ihren Kopf herumfliegen ließ. »Schweig!«, herrschte Jean sie an. »In wenigen Stunden werden wir wissen, ob du die Wahrheit sagst oder nicht.«
»In wenigen Stunden?« Rian starrte Jean an. Sein Blick flackerte. »Was bedeutet das?«
»Länger wird es nicht dauern, bis dein geliebter Bruder gestanden hat.« Jean wandte sich zum Gehen.
Endlich begriff Rian, was sie tief in ihrem Innersten schon lange gewusst, bis jetzt aber nicht hatte wahrhaben wollen. »Ihr lasst ihn foltern?«, fragte sie krächzend.
Jean sah sie aus brennenden Augen an. Dann lächelte er kalt und ging.
Das Geflüster ringsherum hatte nicht nachgelassen, sondern war sogar stärker geworden. Eleanor rannte, so schnell sie ihre Füße trugen.
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