Elfenzeit 13: Im Reich des Priesterkönigs - Kern, C: Elfenzeit 13: Im Reich des Priesterkönigs
zwischen zwei Ausläufern und schien sich nicht darum zu kümmern, dass die Tiere immer nervöser wurden. Selbst David erkannte, dass die Vögel nicht damit einverstanden waren, dass sich hier ein nicht gefiedertes Wesen unter ihnen befand, ja sogar immer tiefer in die Kolonie hineinging.
Hysterisch kreischend flatterten sie näher, doch Rian ließ sich nicht beirren.
David stellte sich mit hoch erhobenem Stab hin und ließ seine Schwester nicht aus den Augen. Normalerweise hätte sie die Vögel mit einem Fingerschnippen unter Kontrolle. Deshalb beunruhigte es ihn, als die Tauben, die Fliegenschnäpper und Keas immer dichter um Rian herumflogen und sie mehr und mehr bedrängten, während die flugunfähigen Takahes sich zu ihren Füßen drängten und ihr das Vorankommen schwer machten.
Das Getschilpe und Gepiepse schwoll zusehends an, die Vögel flatterten immer aufgeregter um Rian herum, bis sie mit einem Mal stehen blieb, die Arme in einer ruhigen Bewegung ausstreckte und den Kopf mit geschlossenen Augen in den Nacken legte.
David wartete auf den Moment, der nun folgen würde. Neben ihm zog Jimmy Raunga den Atem hörbar ein, als die winzigen Fliegenschnäpper und Papageien sich auf ihren Armen und den Schultern niederließen. Auf einmal hörte David durch das Durcheinander der Vogelstimmen einen süßen Gesang, der einer wunderbaren, fremdartigen Melodie folgte.
Sie singt
, dachte er und seufzte hingerissen.
Wie lange habe ich das nicht mehr gehört ...?
Seinen Stab ließ er sinken; es war klar, dass er ihn momentan gegen die Vogelschwärme nicht brauchte.
Die Vögel wurden ruhig, wie alles, was Rians Gesang hörte. Jimmy plumpste mit offen stehendem Mund auf den Hintern, einen verträumten Ausdruck in den Augen. Gut. Um ihn musste David sich nicht mehr kümmern.
Er folgte Rian.
22 Johannes
Eintausendfünfhundert Jahre zuvor
»Was machen wir hier, Vater?« Anne stand auf einer felsigen, kalten Ebene. Wind riss an ihrer Kleidung und wehte ihr die Haare ins Gesicht.
Ihr Vater, der Vampir, stand neben ihr – groß, hager, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Weder die Kälte noch der Wind schienen ihn zu stören. »Ich habe das erschaffen«, sagte er.
Anne ließ den Blick über die Ebene gleiten. Es gab nichts auf ihr, keinen Dreck, keine Pflanzen, keine Tiere, kein noch so kleines Anzeichen von Leben. »Warum?«
»Für ihn.«
Ihr Vater drehte sich um und zeigte auf einen Felsen. Ein Mann saß darauf. Er trug eine römisch wirkende Lederrüstung, bis zu den Knien geschnürte Sandalen und einen schweren Wollumhang. Sein schütteres blondes Haar wehte im Wind. Er bemerkte den Blick des Vampirs und winkte lächelnd.
Anne hatte noch nie einen Menschen in Gegenwart ihres Vaters lächeln sehen.
»Sein Name ist Johannes. Er ist aus Byzanz.«
»Und weshalb lebt er noch?«
Ihr Vater sah sie kalt an. Anne wollte sich entschuldigen, weil ihre Worte geklungen hatten, als wolle sie sich in seine Entscheidungen einmischen, aber er wies sie nicht zurecht.
»Ich fand ihn in Indien«, sagte er stattdessen, während er Anne zu dem Mann auf dem Felsen führte. »Er war auf der Suche nach dem Paradies, so, wie es ihm ein Traum befohlen hatte. Ich fragte ihn, was er machen würde, wenn er es fände, und er antwortete: ›Ich würde so weise, wie Gott es mir erlaubt, darüber herrschen und dafür sorgen, dass keiner meiner Untertanen je wieder Not leiden muss.‹ Amüsant, findest du nicht auch?«
»Ja, Vater«, antwortete Anne, obwohl ihr immer noch nicht klar war, weshalb sich ihr Vater für diesen Mann interessierte.
Johannes stand auf, als er sie sah. Sein Umhang war so schwer, dass er sich trotz des Windes kaum bewegte. »Sinenomen hat Euer Kommen bereits in Aussicht gestellt«, sagte er zur Begrüßung. »Ich hoffe, Eure Reise war angenehm.«
»Sinenomen?« Anne hob die Augenbrauen. Ihr Vater hatte keinen Namen. Er stammte aus einer Zeit, in der es noch keine Namen in der Welt gab, als die Dinge nur durch das bestimmt wurden, was sie waren, nicht durch das, was sie sein sollten. Doch dann begriff sie, was Johannes gesagt hatte:
sine nomen
, ohne Namen.
Die Erkenntnis schien sich in ihrem Blick widerzuspiegeln, denn Johannes lächelte. »Ich sehe, dass Ihr das Dilemma versteht. Euer Vater ist nicht geneigt, mir seinen Namen anzuvertrauen, aber da ich ihn gelegentlich ansprechen möchte, ohne allzu unhöflich zu sein, habe ich mir einen ausgedacht.« Er sah ihren Vater an. »Ich hoffe, Euch damit nicht zu
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