Elfenzeit 2: Königin des Schattenlandes - Thurner, M: Elfenzeit 2: Königin des Schattenlandes
Menschenmenge in die Wirklichkeit zurück. Wie verzaubert standen Männer und Frauen da. Sie blickten sich unsicher an, als hätten sie soeben etwas Verbotenem gelauscht. Lediglich die Kinder fanden rasch wieder in ihre Welt zurück. Ihr munteres Geplapper und der allerorts hörbare Ruf nach
a penny for the Guy
brachte so etwas wie Normalität.
»Was war das?«, fragte Robert verwundert. Er schüttelte den Kopf. Er fühlte sich wie in Watte gepackt. Als wären seine Hörsinne durch die Musik bis aufs Äußerste beansprucht worden. Nun, da er wiederum durch die altbekannte Welt der Normalität tastete, sehnte er sich nach diesen wenigen Momenten höchsten Klangerlebnisses zurück.
»Etwas ganz Besonderes«, antwortete Nadja andächtig.
»Das trifft es nicht«, meinte Robert nachdenklich. »Mein Vater hat mir mehrmals von Bob Beamon erzählt. – Du kennst den Namen? Nein? – Nun, er war ein Sportler. Ein Weitspringer. Er startete bei der Olympiade 1968 in Mexico City. Sechzigtausend Menschen oder mehr sahen im Stadion zu, als er sprang, und Abermillionen an den Fernsehgeräten. Vater meinte, dass etwas ganz Besonderes in der Luft gelegen habe, was sich selbst durch die Fernseher übertrug. Eine Stimmung, die sich nicht in Worte fassen ließ. Beamon lief also mit Schritten an, die immer länger wurden, und sprang ab. Es sah ganz leicht aus. Als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Er flog und flog und flog, schien einfach nicht mehr aufhören zu wollen. Als bewege er sich während dieser zwei Sekunden durch ein anderes Universum, in dem die Schwerkraft weniger Bedeutung hatte. Er landete knapp am Rand der Sprunggrube, stolperte daraus hervor, blickte sich um und riss jubelnd die Hände hoch.
Die Kampfrichter wussten nicht, was geschehen war. Sie blickten sich ratlos um, konnten im ersten Moment nicht einmal sagen, ob der Sprung gültig war. Dann begannen sie zu messen. Minutenlang dauerte es, weil sie es nicht glauben konnten. Bis sie endlich das Ergebnis auf der Anzeigetafel bekannt gaben. Bob Beamon war acht Meter neunzig gesprungen; einen halben Meter weiter als jemals ein Mensch zuvor ...«
»Ich wusste gar nicht, dass du dich für Sport interessierst.«
»Tue ich auch nicht. Was ich eigentlich sagen wollte: Es war ein magischer Moment. Einer, der nicht in diese Welt passte und an den sich jeder, der ihn miterlebt hatte, sein Lebtag lang erinnern wird. Und genau so ein Erlebnis hatten wir soeben.«
Nadja nickte. Sie schien zu verstehen. »Das Wort
Magie
irritiert mich in diesem Zusammenhang«, sagte sie schließlich. »Seit den Erlebnissen in Paris bin ich ein wenig sensibel, wenn’s um derartige Dinge geht.«
»Glaubst du, mir geht’s besser?« Robert blickte sich um und suchte nach dem Klarinettenspieler. »Sprechende Igel, schwebende Elfen und die Anderswelt haben bis vor wenigen Tagen auch noch keinen großen Bereich meines Lebens eingenommen.«
Sie schwiegen, während sich die Leute ringsum allmählich wieder ihrer ursprünglichen Laune besannen. Sie fluchten und lachten und stritten und aßen wie zuvor. Vielleicht taten sie es mit einer um eine Nuance gesteigerten Intensität. Als wollten sie die Erinnerung an das Klarinettenspiel in sich bewahren, aber nicht darüber sprechen.
»Ich sehe übrigens eine Parallele zu einer anderen Geschichte«, sagte Nadja. »Leider eine recht unangenehme.« Erstaunt sah sie den Brownie in ihrer Hand an und warf ihn angewidert weg. »Du kennst sicherlich die Geschichte des Rattenfängers von Hameln? Der ums Geld betrogene Bursche lockte mit seiner Flöte die Kinder der Stadt mit sich, um mit ihnen in einem nahe gelegenen Berg zu verschwinden. Sie begaben sich willenlos in ihr Unglück. So, wie es die Ratten zuvor getan hatten.« Sie sah Robert ernst an. »Dasselbe hätte heute auch passieren können, wenn es unser Mann so gewollt hätte.«
5 Gofannon
Die Niederlage
Gofannon besaß Kolleginnen im Olymp aller Götter, die sich in diesem Moment sicherlich in ihre Fäuste lachten.
Die Schicksalsgöttinnen, drei herbe Damen mit einem seltsamen Zugang zum Humor, hatten Fanmór nach vorne plumpsen lassen. Nicht nur, dass er gut und gerne so viel wie dreitausend Furunkel wog; als Riese besaß er darüber hinaus eine Beharrlichkeit, die ihn mit dem Erdboden verwachsen ließ. Wenn er noch einen Beweis dafür benötigte, einen der Letzten aus diesem alten Geschlecht vor sich zu haben, so hatte er ihn nun erhalten.
Fanmórs Nacken war dick und wulstig. Eine
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