Elfenzeit 2: Königin des Schattenlandes - Thurner, M: Elfenzeit 2: Königin des Schattenlandes
liegen bleiben und auf den Tod warten.
Oder auf die Versteinerung; so wie der Kau.
Vielleicht bestand das gesamte Gebirge aus den Leibern von Versteinerten? Aus Wesen, die versucht hatten, das Land dahinter zu erkunden, und die gescheitert waren, um in ihrer Verzweiflung zu einem festen, toten Ding zu werden?
Müßige Gedanken
, schimpfte er still in sich hinein.
Mach gefälligst weiter!
Er leckte klebrige Blutspuren von seinen bandagierten Fingern und suchte nach neuem Halt, der ihn weiter nach oben bringen würde. Hätte er nach seiner Gefangennahme wenigstens seine Sprungkraft behalten, auf die er immer so stolz gewesen war ...
Irgendwann einmal fand der Aufstieg ein überraschendes Ende – und brachte eine neuerliche Enttäuschung mit sich. Eine weitere Hochebene erstreckte sich hier, so weit das Auge reichte. Über die Breite des wie mit einem Lineal gezogenen Horizonts faltete sich die nächste Gebirgsstufe nach oben; eine weitere Hürde, die es offenbar zu überwinden gab. Gofannon schätzte die Entfernung dorthin auf drei oder vier Tagesmärsche. Dazwischen befand sich eine glasierte Wüstenei, kaum unterbrochen von Erhebungen oder Talsenken. Die Monotonie, wie er sie bereits zur Genüge kannte, fand dort ihre Fortsetzung.
Ein einziger Farbklecks erregte seine Aufmerksamkeit. Ein Beet bizarr verformter Blumen und Pflanzen, höchstens hüfthoch, lag rechts von ihm. Also marschierte Gofannon darauf zu. Zu seinen schleppenden Schritten sang er alte Kriegslieder der ihm einstmals untergebenen Zwergvölker.
Seine Wunden bildeten sich allmählich zurück. Hier gab es warmen, heilenden Wind und seltsam feuchte Luft. Immer wieder setzte kurzer Platzregen ein. Er erzeugte ohrenbetäubenden Trommelwirbel und die Sinne verwirrende Lichtreflexionen auf den Spiegelflächen, die dennoch als willkommene Abwechslung in der landschaftlichen Monotonie wirkten. Das Wasser bildete kleine, flache Seen, die rasch in der Sonne verdampften. Ein Teil versickerte zwischen winzigsten Glasrissen, um wahrscheinlich dem Quellfluss im Tal der Königin zugeführt zu werden.
Neugierig schöpfte Gofannon von der klaren Flüssigkeit. Sie trug wenig Geschmack in sich und war kaum nahrhaft. Im Gegenteil: Je mehr er davon zu sich nahm, desto durstiger fühlte er sich. Erschrocken ließ er von dem verfluchten Zeug ab.
Wenn ich davon trinke, verliere ich die erbärmlichen Reste meiner Göttlichkeit!
, erkannte er.
Ich begebe mich immer weiter hinab auf die Ebene herkömmlichen Lebens. Wenn ich nicht aufpasse, trocknen die letzten Reste meiner Erhabenheit weg – und damit auch Stolz, Erinnerungen sowie jener Wissensschatz, mit dessen Hilfe ich erhoffen kann, irgendwann wieder zu meinem ursprünglichen Ich zurückzufinden
.
Was war er denn eigentlich? Fanmór hatte ihm viel genommen und dennoch einiges gelassen. Wollte der Elf, dass er sich sogar der letzten Reste einer Göttlichkeit beraubte, dass er sich selbst demütigte? Zuzutrauen war dies dem Patriarchen.
Gewesen
... Fanmór war tiefste Vergangenheit. Er hingegen musste dafür sorgen, dass die Gegenwart in eine einigermaßen lebenswerte Zukunft führte.
Der versteinerte Blumengarten war erreicht. Krokusköpfe, von Staub und Schlick überzogen, reckten sich der langsam wandernden Sonne entgegen. Dabei stießen sie piepsige Schmerzensschreie aus.
»Hilf uns, hilf uns!«, rief einer der Krokusse. »Befreie uns vom Schmutz, bringe uns das Leben zurück!«
Weitere Blumen fielen in das Klage- und Bittgebet ein. Sie rieben Stängel und Blütenblätter aneinander und erzeugten dadurch Wörter. Kaum verständlich, in der alten Einheitssprache jener Zeit, da Tiere, Pflanzen und höhere Wesen noch zueinander gehört hatten.
»Ihr müsst uralt sein«, sagte Gofannon erstaunt. »Wer hat euch hierher verbannt? Was ist eure Schuld?«
»Das ist längst vergessen, Lebender!«, antwortete der Chor. Die Blumenköpfe wandten sich in schrecklicher Langsamkeit von der Sonne ab und ihm zu. »Wir haben längst bereut, haben bezahlt. Doch niemand findet sich, der uns in die anderen Welten zurückbringt. Oh – wir armen, armen Krokusse ...«
Krokusse. Gofannon kramte in seinen Erinnerungen. In seiner Jugend hatte er von der Verbannung dieser einfältigen Gewächse gehört. Die Einzelheiten waren ihm jedoch abhandengekommen.
»Wir leiden so sehr, wir leiden!« schrien sie in atonalem Kanon. »Gib uns Flüssigkeit, nähre uns, brich den Staub und Steinschmutz von den Blättern!«
Die Blütenblätter
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