Elfenzeit 2: Königin des Schattenlandes - Thurner, M: Elfenzeit 2: Königin des Schattenlandes
ausgerissene Krokusse bildeten einen Matsch, der ihm weitaus ungefährlicher erschien und auf dem er sich einen Weg durch das Pflanzenmeer bahnte. Er trampelte über die Sterbenden hinweg und ignorierte ihr Wehklagen, das mit dem Ende ihrer Existenz leise verwehte.
Der beißende Gestank der Verwesung breitete sich aus, überlagert vom Geruch der Pollen, die die Krokusse in Todesangst millionenfach ausstießen. Sie fühlten das Ende ihrer Art nahen und unternahmen instinktiv einen verzweifelten Versuch, zu retten, was zu retten war.
Gofannon ließ sich durch nichts mehr bremsen. Seine Arme, mittlerweile blutüberströmt, fuhren immer wieder hinab in das Pflanzenwerk. Es war eine schreckliche Ernte, die er hielt. In seiner früheren Heimat hätten die Skalden ein Heldenlied geschrieben und die alten Weiber einen Teppich aus Haaren gewoben, um seine Taten in Bildern festzuhalten. Doch hier und jetzt musste er ohne Publikum kämpfen und ohne ihn umschallende Lobpreisungen.
Lange zog, zerrte, rupfte und riss er an seinen Gegnern. So lange, bis auch das letzte Scharren und das letzte Knarzen aneinander reibender Sprachblätter endeten. Dann lief er davon, von plötzlichem Grauen gepackt, und blickte sich erst um, als er eine kleine Anhöhe in diesem Einerlei der Spiegelfläche erreicht hatte.
Nichts war von den Krokussen übrig geblieben. Kein Halm, kein Trieb reckte sich mehr in die Höhe. Auch die letzte der fahlen Wurzeln hatte Gofannon ausgerissen und in den Breiozean der Sterbenden geworfen. Zum felsigen Abbruch hin, den er sich hinaufgequält hatte, wehte der Pollenteppich und erzeugte Myriaden von seltsam anmutenden Reflexen. Einige wenige ungeborene Kinder der Krokusse würden möglicherweise irgendwo Fuß fassen und ihre schwachen Wurzelbeine durchs Gestein treiben. Doch sie würden erinnerungslos und
dumm
bleiben. Das Wissen ihrer Pflanzeneltern war mit Gofannons Kraftakt unwiederbringlich verloren gegangen. All ihre Heimtücke, all ihre Geschichte war dahin. Wahrscheinlich würde sich selbst ihre Form ändern. Törichte, geistlose Geschöpfe würden sie dann sein, eitel und stolz, die ihren Wert in der Schönheit suchten – und vergessen hatten, wie mächtig sie einmal gewesen waren.
Mit einem Mal überkam Gofannon der Schmerz aus vielen Wunden. Ohne Rücksicht hatte er gekämpft und die Gedanken an seine Verletzlichkeit zurückgehalten. Nun traf es ihn mit voller Wucht. Er ließ sich nach hinten sinken, rollte zur Seite und schützte den Kopf vor den Blendungen und den Schatten der erbarmungslosen Sonne. Er musste ruhen, wahrscheinlich viele Jahre lang. Dann würde er sich wieder auf den Weg machen, um die Ruhenden Streitkräfte des Thanmór zu suchen. Wenn er Unterstützung für Königin Bandorchu finden wollte, dann wohl bei diesem anderen Elfenstamm.
Gofannon schlief ein ...
12 Nadja
Geschichte und Geschichten
Nadja verschluckte sich, musste husten und prustete einen Teil des Whiskys zur Seite, auf den kahlen Steinboden. Darby O’Gill klopfte ihr kräftig auf die Schultern, bis sie wieder ausreichend atmen konnte.
»Siebzehnhundertzweiundvierzig?«, wiederholte sie keuchend. »Sie wollen mir weismachen, dass das Eborachonn seit mehr als zweihundertsechzig Jahren besteht?«
»Schon viel länger.« O’Gill lächelte. »Sie vergessen, dass York eine alte, eine uralte Stadt ist. Die Steinmauern, die uns umgeben, wurden vor nahezu zweitausend Jahren errichtet. Und es gibt ausreichend Funde und Überlieferungen, die beweisen, dass schon vor den Römern an diesem Fluss lebhafter Handel betrieben wurde. Wir befinden uns auf historischem Boden.«
»Wasgefundendarbyundbegleitung?« Die Frau mit dem lächerlich wirkenden Kopftuch, die ihnen vor wenigen Minuten bereits den Whisky auf den Tisch geknallt hatte, stand wie hergezaubert vor ihnen. Sie war mindestens so groß wie Nadja. Ihr glattes, jugendliches Gesicht wirkte ausdruckslos. Verärgert blies sie eine struppige Haarsträhne aus den Augen.
»Wir nehmen das Tagesmenü«, bestimmte O’Gill, weiterhin freundlich lächelnd. »Ich bin mir sicher, es ist ausgezeichnet.«
»Gutewahldarby.« Heather nahm die Blätter an sich und marschierte davon. Sie schob sich zwischen zwei streitenden Männern hindurch, nutzte jede noch so kleine Lücke, um zur langen Bar im Hintergrund des Lokals zu gelangen.
»Heather redet nicht viel«, sagte O’Gill, der Nadjas Blicke richtig deutete. »Das, was sie sagt, kommt allerdings ohne Punkt und Komma aus ihrem Mund.
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