Elfenzeit 2: Königin des Schattenlandes - Thurner, M: Elfenzeit 2: Königin des Schattenlandes
Hand gegen das Holz gepresst.
Da war keine aufgeschüttete Erde, kein Boden, in dem der Baum – eine Eibe? – Wurzeln schlagen konnte. Rings um den Stamm befand sich ein schmaler Spalt, durch den sie nach unten sehen konnte. Es war dunkel. Eine Steinmauer umgab dort den kerzengeraden Stamm des Baumes, der von viel weiter unten hochragte. Gelächter und leise Stimmen wehten herauf.
»Klingelt’s?«, fragte Darby O’Gill. Wiederum war er näher getreten. Sein Atem streifte über ihre Schultern.
»Das dort unten war kein ausgeschnittener Holzblock, der das Eborachonn verzierte«, sagte Nadja, »sondern der unterste Teil des Stammes.« Sie konnte das Zittern in der Stimme nicht vermeiden.
»Und? Findet die Journalistin auch noch zu einem weiteren Schluss, so unwahrscheinlich er auch sein mag?«
Seine Hände tasteten über ihre Schultern und begannen zu massieren. Sie fühlte sich seltsam leicht und ... entrückt. Als schwebte sie außerhalb ihres Körpers und würde auf sich selbst hinabblicken.
»Dies ist der Baum aus deiner Geschichte, und sie ist wahr. Er hat York seinen ursprünglichen Namen gegeben. Die Kelten haben ihre Zeichen hier eingeritzt, die Römer ihre Steinwälle ringsum gebaut. Angelsachsen, Sachsen, Skoten, Wikinger und Normannen eroberten die Stadt. Sie kamen und gingen. Der Baum jedoch blieb. Er ist ... wie alt?« Sie schob Darbys Hände sanft beiseite und drehte sich zu ihm um.
»Er muss bereits mehr als zehn Meter hoch gewesen sein, als sich die Kelten ansiedelten. Und das war vor mehr als zweitausendfünfhundert Jahren.« Ernsthaftigkeit sprach aus seinen Augen. »Wenn du es so willst, ist er der Wächter der Stadt.« Darby lächelte und wechselte abrupt das Thema. »Wusstest du, dass die beerenähnlichen Früchte der Eibe, Arillus genannt, in alten Zeiten als starkes Aphrodisiakum galten? Schon ihr Geruch, so sagte man, verwirre die Frauen.« Er beugte sich zu ihr herab und küsste sie sanft auf die Stirn.
Nadja ließ es geschehen.
13 Gofannon
Die Schatulle
Er erwachte. An seinem ganzen Körper knackte und krachte es. Gofannon streckte sich gemächlich. Eingetrocknete Reste von Staub, Schmutz, Blütenstaub und Blut brachen weg, als er sich aufrichtete. Er blickte sich um. Er musste lange geschlafen haben; sicherlich einige Menschenjahre. Doch Zeit, so wusste er, hatte für langlebige Wesen eine ganz andere Bedeutung als zum Beispiel für Menschen.
Fanmór hatte ihm die Gnade der Unsterblichkeit aus gutem Grund gelassen. Ein quasiewiges Leben bedeutete in einem Umfeld wie diesem auch ewige Qual.
Es dauerte, bis seine Erinnerungen zurückkamen. Von den Krokussen war nichts mehr zu sehen. Die Ebene war glatt und leer, die Sonne brannte erbarmungslos herab und trieb die sie ständig begleitende Wolkenbank vor sich her. Die Luft war trocken. Mit dem Verschwinden der hinterlistigen Blumen hatten wohl auch die Regenfälle geendet.
Was mochte Gwynb... Bandorchu mittlerweile erreicht haben? Die Schwesternschaft, jene lose miteinander verbundene Horde von Aasfressern, von der ihm die Krokusse erzählt hatten, stellte sicherlich keine Gefahr für die verbannte Königin dar. Ihrer mentalen Kraft, der physischen Präsenz und der Willensstärke, die sie auf ihre Begleiter übertrug, würde kein Wesen der Schattenwelt beikommen.
Sein nächstes Ziel waren die Ruhenden Streitkräfte des Thanmór. Sie warteten hinter der Felswand am Horizont. Gofannon setzte sich in Bewegung. Die ersten Schritte taten weh; ungewohnte Schwächegefühle drückten auf seinen Magen. Schon die Erinnerung an die Unsitte des Essens löste einen wahren Heißhunger in ihm aus.
Er atmete tief durch und konzentrierte sich darauf, ein Bein vor das andere zu setzen. Links, rechts. Links, rechts. Immer weiter. Nicht lange über die Umstände und die Leere in seinem Magen nachdenken ...
Es funktionierte. Mit jedem Schritt fiel es ihm leichter, sich auf das Ziel zu konzentrieren. Seine Körperlichkeit geriet in Vergessenheit, die Schmerzen traten in den Hintergrund und blieben lediglich als dumpfe Erinnerung erhalten.
Schritt für Schritt. Links, rechts. Links, rechts. Auf den Horizont zu. Er würde mehrere Tage marschieren müssen.
Das Geröllfeld war wesentlich leichter zu überwinden als die scharfkantigen Kristallbrocken. Es dauerte nicht lange, bis der Aufstieg geschafft war. Das Land, das er nun überblickte, wurde von merkwürdig gewachsenen Steinstrukturen beherrscht. In bizarren Formen bogen sie sich nach oben, der
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