Elfenzeit 3: Der Quell der Nibelungen - Themsen, V: Elfenzeit 3: Der Quell der Nibelungen
weg!« Die letzten Worte wurden zu einem Krächzen, und ihr Gesicht verzog sich zu einer Grimasse der Furcht.
David ging in die Hocke, sodass das Licht des Fensters wieder auf Nina fiel, und sofort beruhigte sie sich. Ehe sie in die teilnahmslose Apathie zurückfallen konnte, sprach er sie an.
»Ich bin David, Nina«, sagte er. »Erinnerst du dich an mich?«
»David«, flüsterte sie. »Daviddaviddavid …« Ihre Stimme verklang, doch bewegte sich ihr Kopf ein wenig, und ihr Blick heftete sich auf den Elfen, intensiv und klar. Ihre Hände verkrampften sich.
»David. Gib mir meinen Namen zurück.«
»Du bist Nina!«
Die junge Frau seufzte, und ihr Blick verlor seinen Fokus. David sah zu Rian, die ratlos die Schultern hob.
»Er hat ihr nicht die Lebensenergie geraubt, zumindest nicht viel davon. Aber etwas von seiner Kälte ist in ihr geblieben und … gefriert ihre Seele. Anders kann ich es nicht erklären. Sie hat den Lebenswillen verloren.«
David erhob sich, sorgfältig darauf achtend, nicht das Licht vom Fenster zu blockieren.
»Also gut. Du sagst, sie hat das Gefühl für das verloren, was das Leben lebenswert macht? Dann sollten wir es ihr zurückgeben. Ich denke, das ist etwas, wovon wir Elfen mehr als genug haben, und vermutlich schulden wir es ihr.«
Die Zwillinge tauschten einen langen Blick, dann sahen sie zu Grog und Pirx. Beide nickten.
Grog kletterte auf das Bett und ließ sich neben Ninas Kopf nieder. Sie schien die Bewegung des Bettes nicht einmal zu bemerken. David trat auf der anderen Seite neben das Kopfende, und Rian rückte so weit hoch, wie sie konnte, ohne Nina zu sehr zu beengen.
David beugte sich über Ninas Kopf und strich ihr vorsichtig über die Wange.
»Schau zu mir, Nina«, sagte er. »Schau mich an, Menschenkind. Drehe deinen Kopf und erblicke mich.«
Langsam, sehr langsam bewegte Nina tatsächlich ihren Kopf. Als sie direkt nach oben sah, richtete David sich wieder auf und streckte seine Arme aus. Auch die anderen drei hoben ihre Arme, Hände schlossen sich ineinander.
Über Nina begann die Luft zu flimmern, und schattenhafte Bilder traten hervor. Während Rian leise sang, lehrten die Elfen Ninas Seele erneut, was das Leben ausmachte.
Tilmann Haag hängte seine Jacke in den Spind und holte den Arztkittel hervor. Er hatte immer geglaubt, eine gewisse Routine erlangt zu haben. Er hatte gelernt, Leiden und Tod als unumgängliche Facetten des Lebens zu betrachten. Zwar konnte er helfen, das eine zu lindern und das andere hinauszuzögern, doch kehrte beides früher oder später zurück.
Trotzdem berührte ihn das Schicksal der jungen Frau, die am ersten November eingeliefert worden war, intensiv. Vielleicht lag es daran, dass die Umstände so rätselhaft waren. Nichts an ihr gab den geringsten Hinweis darauf, was vorgefallen war. Als sie erwachte, hatte sie keinerlei Fragen beantwortet.
Vielleicht ließ ihn beruflicher Ehrgeiz nicht akzeptieren, eine Frau in seiner Obhut ohne ersichtlichen Grund leiden und … vergehen zu sehen. Ein anderes Wort fand der Arzt nicht für das, was mit Nina Eberts geschah. Sie verging. Sie wollte nicht mehr leben, und alles an ihrem Körper gab diesem Wunsch nach und verlangsamte sich. Nichts schien an sie heranzukommen und es aufhalten zu können.
Doktor Haag schüttelte den Kopf. Es musste eine Lösung geben, irgendwie. Notfalls würde er sie wieder in die Intensivstation zurückholen und ins künstliche Koma versetzen, bis jemand eine Idee hatte. Er würde sie nicht gehen lassen.
Wie es seine Gewohnheit war, ging der Arzt nicht direkt in seine Station, sondern lenkte seine Schritte zu Ninas Zimmer. Sie würde inzwischen wieder am Tropf hängen, dessen war er sicher. Es war schon gestern zu erkennen gewesen.
Als er am Schwesternzimmer vorbeiging, hörte er aufgeregtes Geplapper. Er schüttelte den Kopf über diese tratschsüchtigen Frauen und wollte weitergehen, als plötzlich eine der Schwestern ihn erspähte und seinen Namen rief.
»Doktor Haag! Sie glauben ja nicht, was passiert ist …«
Er glaubte es tatsächlich nicht, bis er in der Tür zu Ninas Zimmer stand und ihrem Blick begegnete. Ihr Körper war der einer Hungernden, doch aus ihren Augen strahlte pure Lebensfreude. Sie begrüßte ihn mit einem Lächeln, das ihm direkt bis ins Herz fuhr. Wie zu einem Toast hob sie das halb leere Wasserglas in ihrer Hand.
»Doktor Haag! Das ist doch Ihr Name, oder?«, sagte sie leise und rau, aber fest. »Sie waren jeden Tag hier, ich weiß
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