Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig - Schartz, S: Elfenzeit 4: Der Löwe von Venedig
war er als Angehöriger der Zunft unverkennbar, und sein Mund zog sich zu einem professionellen Lächeln in die Breite, als er Nadjas Absichten erkannte.
»Eine Fahrt, Signorina? Kleine Rundfahrt oder große? Mit Halt unterwegs, absoluten Highlights, begleitenden Erklärungen, was immer Sie wollen – und nur zum halben Preis!«
»Vielen Dank«, sagte Nadja. »Ich hätte eher eine andere Bitte.« Sie nannte die Ca’ d’Oreso als Ziel.
Der Gondoliere war verdutzt, überlegte aber nicht lange. »Sì, certo. Ich weiß, wo das ist. Eine schöne Fahrt dorthin.« Er nannte seinen Preis, und nach einigem Handeln waren sie sich einig. Nadjas Herz klopfte, als sie in die schwarze Barke stieg, oder vielmehr in einen schwimmenden Sarg mit siebenzackigem Bugeisen. Der Gondoliere wies auf ein mit geschwungenen Mustern verziertes Kissen aus roter venezianischer Seide, auf dem Nadja einen weichen Platz fand, und legte ihr fürsorglich eine Decke über die Beine. »Es ist Winter und Sie sind viel zu leicht angezogen.«
Kurz darauf stieß er die Gondel ab, und sie bewegte sich geräuschlos auf den Bacino di San Marco hinaus. Der Gondoliere ließ die Barke eine Weile treiben, bevor er wendete, und nun präsentierte sich das nächtliche Venedig vom Wasser aus in all seiner glitzernden Pracht. Die Palazzi reihten sich in bester Ausleuchtung den Kanal entlang und zeigten ihren Charme. Nadja vergaß ihre Müdigkeit und die schmerzenden Füße, der Anblick war einfach zu überwältigend. Vor allem konnte sie in Ruhe genießen, denn es waren kaum mehr Motorboote unterwegs und auch die Vaporetti fuhren nur noch vereinzelt.
Als sich die junge Frau seewärts drehte, blickte sie in einen schwarzen Schlund, in dem es keinen Horizont mehr gab, weil Meer und Himmel dasselbe waren. Für einen Augenblick durchfuhr sie ein Schrecken, was geschehen mochte, wenn sie nun einfach weiter hinaustreiben würden. Wahrscheinlich durchquerten sie dann ein Tor in die Anderswelt … oder gingen schlicht auf dem Meer verloren. Es war ein ungewohnter, beunruhigender Anblick. Als Festlandbewohner schaute man stets auf irgendwelche Grenzen, seien es Häuser, Bäume oder Berge. Aber hier lauerte am Rande der Lichtbojen das Nichts.
Aufgeregt richtete Nadja den Blick wieder nach vorn auf die Lagunenstadt. »Hier befindet sich irgendwo auch Harry’s Bar, nicht wahr?«
Der Gondoliere deutete nach links. »Gleich da unten. Wollen Sie dort noch etwas zu sich nehmen?«
»Danke, das kann ich mir nicht leisten«, lachte Nadja.
Ich besitze zwar ein Haus, aber sonst nichts. Und das Haus verschlingt wahrscheinlich Unsummen an Steuern und Instandhaltungskosten
.
»Oh, einen Drink kann man sich auch als Normalsterblicher leisten.«
Nadja hatte für heute aber schon genug Alkohol getrunken, die vielen Grappas schwammen jetzt noch obenauf im Magen und schienen in ihrem Blutkreislauf Fangen zu spielen. »Ich bin ja noch länger da.« Als Journalistin sollte sie dem berühmten Lokal durchaus einen Besuch abstatten; immerhin war dort das erste Carpaccio kreiert worden und Truman Capote hatte sich in dieser Bar am liebsten aufgehalten. Erst vor kurzem hatte Nadja die siebenhundert Seiten dicke Biographie über den genialen Gnom gelesen sowie eine Anzahl seiner Geschichten. Er schien einer ganz anderen, fremden Welt zu entstammen, und Nadja hätte inzwischen alles darauf verwettet, dass er genauso wie Fabio ein in der Menschenwelt gestrandeter Elf war.
Und damit war sie wieder beim Thema. Konnte sie denn nicht ein einziges Mal ihre Gedanken im Zaum halten? Alle Ablenkung und Entspannung war dahin, ihre gute Laune sank tief auf den Grund des Meeres und Frustration stieg in großen schwarzen Blasen daraus auf.
Die Gondel bog an der Seite des Dogenpalastes in einen schmalen Kanal ein. Ein halb verfallenes Schild wies auf den »Rio del Palazzo« hin. Der Gondoliere deutete vor sich. »Il Ponte dei Sospiri«, sagte er und zeigte auf eine geschlossene Brücke zwischen dem Dogenpalast und dem angrenzenden Gebäude.
Seufzerbrücke
, dachte Nadja,
das ist sie also. Passend zu meinem Gemütszustand
.
»Sie heißt so«, fuhr der Venezianer fort, »weil die Gefangenen hier ihre letzten Seufzer ausstießen, bevor sie der Sonne entsagen mussten und im Kerker verschwanden.«
Nadja nickte, das war ihr natürlich bekannt. »Es soll hier aber gar nicht so viele Gefangene gegeben haben, und weitgehend unbedeutende.«
»Bis auf einen, der ziemlich prominent war und es bis heute ist. Weil
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