Elfenzeit 5: Schatten des Totenreiches - Schartz, S: Elfenzeit 5: Schatten des Totenreiches
entzog. Es war Mannanans Nebel, und manchmal, wenn er besonders dick war, erwartete Robert fast, den alten Riesen auf einer Klippe sitzen und übers Meer blicken zu sehen.
In solchen Momenten hatte der Deutsche das Gefühl, die Grenzen zur Anderswelt würden verschwimmen. Er hörte dann ferne Stimmen, wie feinen Sirenengesang, und auch die Wasserbewegung hatte einen anderen Klang.
Die Bewohner der Isle of Man hassten den Nebel, und oft genug, wenn die Fischer noch draußen waren, fürchteten sie ihn. Robert aber konnte nicht genug davon bekommen. In diesen Stunden hatte er gar keine Ablenkung mehr, sondern nutzte die unweigerlich trübe feuchtkalte Stimmung und schrieb, bis die Tastatur seinen fliegenden Fingern nicht mehr folgen konnte.
Heute war der Abend freundlich, die Sonne verabschiedete sich in ein rot bezogenes Wolkenbett, und das Meer spielte mit den Möwen Fangen. Schuhe knirschten leise über den Kies, als Robert und Anne Arm in Arm am Strand entlangspazierten. Wenn die Wolken nicht gewesen wären, hätten sie bis Schottland blicken können, das nur knapp dreißig Kilometer entfernt im bereits dunklen Osten lag.
»Was wirst du tun, wenn du deinen großen Roman beendet hast?«, fragte Anne.
»In ein tiefes Loch fallen«, antwortete Robert. »Davor fürchte ich mich schon.«
»Dann sorge dafür, dass es nicht dazu kommt«, schlug sie schmunzelnd vor.
Er gab das Lächeln zurück. »Das sagst du so leicht. Man schreibt wie ein Besessener, hat den Kopf so voll, dass es schmerzt, und ist viel zu langsam, um all die Gedanken zu Papier zu bringen. Und dann, wenn der Schlusspunkt gesetzt ist, ist man plötzlich ganz leer. Alles, wofür man sich in den letzten Monaten aufgerieben hat, ist weg.«
Robert hob einen flachen Kiesel auf und warf ihn auf die Wasseroberfläche, aber sie war zu unruhig, um ihn tanzen zu lassen. »Allerdings habe ich mir zum Übergang einen kleinen Trick ausgedacht: Wenn ich fertig bin, gehe ich erst an den letzten Schliff, die letzten Ergänzungen und Recherchen, die ich jetzt noch offenlasse. Es gibt immer wieder Lücken im Manuskript. Das dauert ein paar Wochen, vielleicht sogar ein halbes Jahr, und in der Zeit werde ich mich langsam mit der Tatsache anfreunden, dass das Kind aus dem Haus gehen wird.«
»Und wenn es dann so weit ist, werde ich dich nehmen und irgendwohin schleppen, wo du dich erholen kannst und abgelenkt bist, und bevor du dich’s versiehst, hast du schon wieder eine neue Idee. Du wirst sehen!« Sie drückte seinen Arm. »Ich werde dafür sorgen, dass es nicht bei diesem einen Buch bleibt.«
Er umarmte sie. »Ich nehme dich beim Wort.«
Flüchtig glaubte er, etwas Wildes in ihren Augen aufblitzen zu sehen. Fuhr da nicht ihre Zungenspitze über die tiefroten Lippen, kurz und hastig? Doch vermutlich spielte ihm nur sein überreizter Verstand einen Streich.
Um zehn Uhr weckte Anne ihn. Robert war völlig daneben, er hatte bis vier Uhr morgens geschrieben und wusste noch nicht so recht, in welcher Welt er sich befand.
»Sechs Stunden Schlaf sind mir zu wenig, lass mir doch ein wenig mehr!«, maulte er.
»Nichts da«, erwiderte sie. »Disziplin ist das höchste Gebot. Du wirst nicht den halben Tag verschlafen, sondern dich jetzt ordentlich bewegen, und dann gibt es ein gutes Frühstück.«
Für einen Augenblick war er geneigt, einen Streit anzufangen. Andererseits kostete ihn das mehr Energie, als er in sich fühlte, und am Ende musste er ja doch in die Pedale treten. Anne setzte sich immer durch. Und sie hatte auch recht: Gesundheitlich ging es ihm seit ihrer Fürsorge blendend, obwohl er so viel vor dem Laptop saß.
Aber sie zwang ihn jeden Morgen oder wenigstens Vormittag, mindestens eine Stunde mit dem Rad zu fahren. In der Nähe gab es eine alte Teerstraße, die von niemandem mehr benutzt wurde, sie lief einfach am Meer entlang und hörte irgendwann vor einem Hügel auf. Es hieß, dass eine Elfenkolonie unter dem Hügel hauste, was Robert einiges Vergnügen bereitete.
Eine halbe Stunde hin, eine halbe zurück. Anfänglich hatte Anne vorgeschlagen, dass er laufen sollte, aber Robert hatte sich rundheraus geweigert und als Kompromiss das Rad vorgeschlagen. Er hatte gehofft, dass Annes Wachsamkeit irgendwann nachlassen würde. Aber das Gegenteil war der Fall. Nur bei heftigem Sturm bekam er eine Schonfrist, ansonsten musste er raus – jeden Tag, spätestens um halb elf.
Grummelnd und ungewaschen stieg Robert in die ausgeleierten Joggingsachen und schwang
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