Elfenzeit 5: Schatten des Totenreiches - Schartz, S: Elfenzeit 5: Schatten des Totenreiches
sich aufs Rad. Doch seine Müdigkeit und schlechte Laune hielten sich nicht lange. Ein strahlender Tag erwartete ihn mit für diese Jahreszeit vergleichsweise angenehmen Temperaturen, etwa acht Grad plus. Auf dem Rückweg radelte er der Sonne entgegen und lachte glücklich.
Er fühlte sich prächtig, als er aus der Dusche kam, und stürzte sich hungrig auf das Frühstück. Inzwischen hatte er gelernt, sich ohne Vorbehalte bedienen zu lassen, und genoss es, wie Anne ihn verwöhnte. Sie duldete nicht, dass er irgendetwas im Haus tat, und sprach von Arbeitsteilung. Meistens ging sie auch ans Telefon, und wenn er mitten im Schreibfluss war, teilte sie mit, ab wann er wieder erreichbar wäre. Wer weiß, ob Robert sonst das Schreiben wirklich so durchgehalten hätte.
Anne holte den Einkaufskorb und griff nach dem Wagenschlüssel. »Ich fahre nach Douglas einkaufen und ein paar Sachen erledigen. Vor drei Uhr bin ich bestimmt nicht zurück.«
»Das passt mir gut«, sagte er. »Ich will unbedingt das Kapitel fertigbringen, dummerweise bin ich heute Nacht mittendrin eingeschlafen.«
»Dann sei brav«, lächelte sie und warf ihm eine Kusshand zu.
Er lauschte, wie sich der Wagen entfernte, nahm dann die Kaffeetasse und schlenderte vors Haus, um seine Morgenzigarette zu genießen. Dann holte er sich einen Orangensaft und setzte sich an den Schreibtisch.
Eine Stunde später starrte er immer noch auf den leeren Bildschirm. Ihm fiel überhaupt nichts ein, und er verspürte auch keinerlei Lust, etwas zu schreiben. Nach dem Marathon vom Vortag brauchte er wohl eine Auszeit, was kein Wunder war. Obwohl ihm der Rest des Kapitels noch unter den Fingernägeln brannte, weigerte sich sein Gehirn, auch nur einen vernünftigen Satz zu formulieren.
Und warum auch nicht? Anne war nicht da, was selten genug vorkam. Das bisschen freie Zeit, das ihm plötzlich zur Verfügung stand, sollte Robert auch genießen!
Kurz entschlossen stand er auf, griff nach Jacke und Geldbeutel, kehrte dem Meer den Rücken und machte sich auf den Weg nach oben.
Douglas, im Osten am Meer gelegen, war die Hauptstadt der hügeligen Isle of Man. Ihre immerhin fünfundzwanzigtausend Einwohner stellten ein Drittel der gesamten Inselbevölkerung. Das Cottage von Anne und Robert lag nördlich von ihr auf der Route zwischen Baldrine und Laxey, wo sich das größte Wasserrad der Welt befand, die weißrote »Lady Isabella«; mit ihren zweiundzwanzig Metern Durchmesser war sie kilometerweit sichtbar. Robert gefiel der Name Laxey, denn er war norwegischen Ursprungs und wurde aus laxa, Lachsfluss, abgeleitet. Lachse gab es hier zwar längst nicht mehr, doch erinnerte noch ein Rinnsal an den ehemaligen Fluss. Und „lax“ traf noch auf so manches in dieser Gegend zu – die Manxer nahmen das Leben einfach lockerer. Es herrschte Steuerfreiheit, und kapitalträchtige Firmen aus dem Ausland sorgten für Arbeitsplätze.
Zwei Kulturen waren einst auf der Insel miteinander verschmolzen, zuerst auf kriegerischem, dann auf romantischem Wege, und viele Orte trugen noch heute Wikingernamen. Die gälische Sprache war erhalten geblieben, bis die Insel nach vielen verschiedenen Eroberungen zum autonomen britischen Kronbesitz geworden war. Noch heute trat das Parlament auf dem öffentlichen, historischen Tynwald zusammen. Im Großen und Ganzen gefiel es Robert dort ausnehmend gut.
Als er oben auf der Straße angekommen war, hielt er voller Stolz inne. Noch vor sechs Wochen war er schwer keuchend nach oben gekrochen und hatte für jede Zigarette gebüßt, doch mittlerweile schaffte ihn die Strecke nicht mehr. Richtung Westen konnte er durch den Dunst den Snaefell erkennen, mit 621 Metern der höchste »Berg« der Insel, der allerdings nicht unterschätzt werden durfte – der Name Schneefall kam nicht von ungefähr, und auch jetzt war sein breiter Gipfel in eine weiße Decke gehüllt.
Nach einem Kilometer Fußmarsch Richtung Baldrine erreichte Robert eine Wegkreuzung, an der ein großes Fachwerkhaus mit den üblichen liebevollen Verzierungen stand. Das verschnörkelte Gasthausschild zeichnete es als »Black Horse« aus. Ein zu dieser Jahreszeit völlig kahler Kirschbaum neben dem Gebäude passte stilecht ins Bild. Es war kurz nach zwölf und der Parkplatz der Gaststätte ziemlich voll. Auf der Isle of Man galt die Sperrstunde eine Stunde länger als auf den übrigen Britischen Inseln, und so mussten die durstigen Insulaner ein wenig mehr ausharren, bis sie ihr erstes Pint genießen
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