Elfenzeit 5: Schatten des Totenreiches - Schartz, S: Elfenzeit 5: Schatten des Totenreiches
setzen.
Nicholas Abe stellte das Tablett auf einem Stapel Papieren ab, unter denen sich ein schmaler, niedriger Eichentisch versteckte, verteilte die Tassen und goss aus der Kanne ein. Das Service war Nymphenburger Porzellan mit Rosen. Der Mann besaß Stil und wohl auch Geld.
»Sie werden staunen«, fuhr Abe fort, während er sich ächzend in einem großen Ledersessel mit geschwungenem Holzrahmen niederließ – das einzige Möbelstück übrigens, das nicht mit Papier bedeckt war. Er starrte Nadja so intensiv an, als wolle er Löcher in ihren Schädel bohren und feststellen, was sich darin befand. »Ich koche den besten Kaffee.«
Nadja kostete und sagte verdutzt: »Stimmt.«
»Hab ich in al-Mukha gelernt, im Jemen. Ich nehme nur beste Qualität.«
»Wie geht’s dir, Nicholas?«, fragte Tom, der schon bei der zweiten Tasse war. Nadja tat es ihm mit wachsender Begeisterung gleich.
»Wie immer«, knurrte der Mystiker. »Ich prophezeie der Welt den Untergang, und niemand nimmt mich ernst.«
Nadja wusste nicht so recht, wie sie darauf reagieren sollte, und konzentrierte sich darauf, den Zucker in der Tasse aufzulösen.
»Und wieso geht sie diesmal unter?«, fragte Tom. Das Verhältnis der beiden war tatsächlich von Freundschaft geprägt, denn in seinem Tonfall lag Respekt, keine Ironie, und Abe gab sich nicht von oben herab.
»Es ist alles sehr kompliziert, hat mit den Leys zu tun und den Grenzen zwischen den Welten.« Wieder ein Blick zu Nadja. »Was sagen Sie dazu?«
Nadja war peinlich berührt, weil sie nicht unbefangen reagieren konnte. Weder mit einem Witz noch mit einer Beleidigung und erst recht nicht mit der Wahrheit. Der alte Mystiker war kein Scharlatan, er wusste Bescheid. Wusste Dinge, indem er seinen Computer einschaltete und die richtigen Schlüsse zog. Oder war er kein Mensch? Das Problem war, dass man einen Elfen, der schon lange unter den Menschen lebte, nicht erkennen konnte, wenn er es nicht wünschte. Andererseits, wieso sollte ein Elf sich mit Forschungen über Dinge abgeben, die für ihn selbstverständlich waren? Jedenfalls stellte er Nadja gerade auf die Probe.
Sie atmete tief durch. Dann sagte sie: »Es ist jedenfalls eine neue Theorie.«
»Keine Theorie, meine Liebe«, versetzte der Amerikaner. »Wissen Sie, ich beschäftige mich mit diesen Dingen seit fünfzig Jahren. Ich kann es riechen, wenn etwas nicht stimmt. Sicher geht Ihnen das auch so, wenn Sie eine große Reportage erkennen.«
»Ja«, gab sie zu.
»Es gibt Veränderungen im Magnetfeld der Erde, das ist wissenschaftlich erwiesen«, fuhr Abe fort. »Und zwar an bestimmten, sehr bedeutenden Kreuzungspunkten. Wissen Sie, was Ley-Linien sind?«
»Ich hörte davon. Es soll auch hier in Bayern einige geben, in der Nähe der Keltenschanzen.«
»Kluges Kind. Und dort tut sich etwas. Also, nicht direkt hier in Bayern, aber an anderen Punkten. Das kann man messen. Ich habe Kontakt zu vielen Kollegen, die dasselbe beobachten. Die Konstante der Zeit an sich hat sich verändert – sie ist nicht mehr konstant. Das durchlöchert die Grenzen zwischen den, sagen wir, Dimensionen. Sollten sie jemals ganz fallen und die Welten ineinander stürzen, kann uns nicht mal mehr Gott helfen, wo auch immer der alte Herr sich herumtreiben mag.«
Nadja merkte, wie das Blut aus ihrem Gesicht wich. Sie goss sich die dritte Tasse Kaffee ein, um Abes Blick ausweichen zu können. Wie viel erkannte er in ihr?
Tom hatte den Mund halb offen und starrte seinen Freund entgeistert an. »Was in aller Welt ist mit dir los?«, murmelte er. »So habe ich dich noch nie reden hören!«
»Wir gehen großen Veränderungen entgegen, Tom«, sagte der Amerikaner gleichmütig. »Denkst du, diese Geschichte in Venedig wäre Zufall? Oder dass ihr beide jetzt hier seid?«
»Du hast das vorausgesehen?«
»Quatsch. Aber ich erkenne die Zusammenhänge, sobald sie sich ergeben. Ein Rädchen fügt sich in das andere. Und damit sind wir bei Ihnen, meine Liebe – Nadja? Darf ich Sie so nennen?«
»Natürlich.«
»Sagen Sie Nicholas zu mir. Wie kann ich Ihnen helfen?«
In kurzen Worten berichtete Nadja, was ihr auf dem Herzen lag. Nicholas Abe hörte aufmerksam – und mit wachsender Besorgnis zu. Sein Gesicht verdüsterte sich immer mehr, das Wangenrosa verschwand und machte fleckigen Schatten Platz.
Tom war beunruhigt. »Nicholas, das hat doch nicht etwa wirklich was zu bedeuten? Ich liebe deine Wissenschaft und all diese Geschichten, aber ... sie geschehen doch
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