Elfenzeit 6: Die wandernde Seele - Thurner, M: Elfenzeit 6: Die wandernde Seele
mehreren Fronten gleichzeitig zu streiten. Wir müssen den Römern schmerzende Niederlagen beibringen. Daher habe ich vor, die Silberminen, die sie in Ibarra besetzt halten, zu erobern. Ebenso die wichtigsten Handelshäfen. Auf See gibt es Piratenvölker, die ich mit ausreichend Sesterzen bestechen kann, damit sie weiteren Nachschub aus Rom unterbinden.«
»Wenn es nur so einfach wäre ...« Pieva stand auf und trat neben den großen Feldherrn der Lusitanier. »Die Römer gehorchen schon lange nicht mehr den Gesetzen der Vernunft. Sie werden von ihren ... Göttern aufgehetzt. Viele ihrer Führer sind dem Größenwahn verfallen.«
»Nicht einem Wahn, den euresgleichen in unsere Welt gebracht hat?«, fragte Viriatus herausfordernd und blickte abwechselnd den Häuptling der Numantier und mich an. Ohne Angst, ohne Respekt zu zeigen.
»Woher weißt du ...?«, begann ich nach einer Schrecksekunde.
»Ich habe Augen. Ohren. Einen Verstand. Ich weiß von den Toren in andere Welten. Und ich kenne viele Geheimnisse der Druiden. Wesen, die in eurer Sphäre womöglich einfache Bürger sind, schwingen sich hier aufgrund ihrer besonderen Gaben zu gewalttätigen Herrschern auf.«
»Dann weißt du auch, dass weitaus Mächtigere als wir aufseiten der Römer kämpfen. Götter des Krieges. Solche, die dieses Handwerk seit Tausenden Jahren betreiben und einen unendlich größeren Erfahrungsschatz besitzen.«
»Mag sein. Aber ich denke gar nicht daran, mich nur auf euch zu verlassen. Wenn ihr mir helft, ist es gut; wenn nicht, werde ich allein zurechtkommen.« Er hieb mit der Faust auf den Tisch. »Wir Menschen haben uns lange genug gängeln lassen. Wir werden beweisen, dass wir selbstständig geworden sind und auch mit den größten Schwierigkeiten fertig werden!«
Ich verstand: Pieva und ich waren in seinen Augen nicht die
Lösung
, sondern Teil des
Problems
. Ohne Wesen wie uns wäre die Welt der Menschen lebenswerter.
Viriatus und seine Leute richteten sich häuslich in Numantia ein. Die Stadt sollte zum Bollwerk werden, das seinesgleichen suchte, zum Symbol des Widerstands.
Tag und Nacht beschäftigten Pieva und ich uns damit, aus unbedarften Bauern Krieger zu formen. Wir zeigten ihnen, wie man einen Hieb parierte und wie eine Handvoll Sand zur Waffe wurde. Sie lernten von uns, dass römische Rüstungen im Schulterbereich am ehesten zu durchdringen waren, und wir erzogen sie zur Disziplin. Die Verteidigungslinien durften unter keinen Umständen verlassen werden. Wenn ein einziger Kämpfer aufgab, riss er alle Kameraden seiner Einheit mit in den Tod. Nur in der Geschlossenheit gab es eine Chance, gegen die Römer siegreich zu bleiben.
Und doch würde unser Unterricht kaum fruchten. Wenn es darauf ankam, würden die Instinkte überwiegen. Die Legionärstruppen unserer Gegner waren über Jahrzehnte hinweg ausgebildet worden. Wenngleich sie meist Söldner waren und für Rom nur wenig übrig hatten, hatten sie die allumfassende Disziplin dennoch verinnerlicht. Sie war ihnen in Fleisch und Blut übergegangen.
Einmal bekamen wir einen Flamen Dialis zu Gesicht; einen Priester Bellonas, der den Reihen einer römischen Kohorte voranmarschierte. Man führte ihn uns vor, mehr tot als lebendig. In seinen Augen brannte immer noch ein unheiliges Feuer. Er murmelte Beschwörungen vor sich hin, verfluchte alle Feinde Bellonas und zeigte sich bis zu seinem Tod auf der Folterbank nicht bereit, auch nur ein Geheimnis seiner Anführer zu verraten. Als er starb, lag ein entrücktes Lächeln auf seinem Gesicht. Selbst Viriatus zeigte sich angesichts der Unbeugsamkeit und des Fanatismus dieses Priesters erschüttert.
Wann immer man uns nicht benötigte, zogen Pieva und ich uns in das kühle Haus des Halbelfen zurück, tranken sauren Wein und kühlten mit feuchten Tüchern unsere schmerzenden Schwertarme.
»Warum ich nicht in die Elfenwelt zurückkehren will, fragst du?« Pieva kraulte Cucurrs Rücken. Der Bluthase hatte sich zu meiner großen Überraschung an die Gegenwart des Halbelfen gewöhnt. »Findest du, dass ich flüchten sollte?« Er schüttelte den Kopf. »Wenn du so denkst, hast du noch nichts verstanden.«
»Und was sollte ich verstehen? Ich habe mich an das Licht der Sonne gewöhnt, an die Schönheiten des Landes und den Charakter der Menschen. Aber es gibt hier nichts, was mich auf längere Sicht binden könnte.«
»Warte es ab, mein Freund, warte es ab ...«
Wir schwiegen und hingen unseren eigenen, meist düsteren Gedanken
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