Elfenzeit 6: Die wandernde Seele - Thurner, M: Elfenzeit 6: Die wandernde Seele
alle wussten, dass es auf eine Entscheidungsschlacht hinauslief. Auf eine gewaltige Eruption, die das Land erbeben und mit Feuer überziehen würde.
Seit Wochen zogen Wolken übers Land, und wo sich die Sonne zeigte, wirkte ihr Schein trüb und schwach. Manche Numantier sahen ein schlechtes Zeichen darin, andere freuten sich über die vielen Regengüsse und eine ungewohnt gute Ernte.
Druiden lasen aus den Eingeweiden geopferter Tiere, um Erkenntnisse über den weiteren Kampfesverlauf zu gewinnen. Manche von ihnen tanzten bis zur völligen Erschöpfung. Sie fielen in eine Trance, in einen Zustand zwischen Leben und Tod, in dem sie meinten, Kontakt zu Taranis, Neto oder Adaegina zu finden. Estella und mehrere andere Adeptinnen tranken von einem Sud aus Kräutern, Pilzextrakt und Wurzeln und gerieten in einen Zustand der Entrückung, in dem sie den Naturgöttern ihrer Religion nahe zu sein glaubten. Sie redeten wirr; ältere Druiden interpretierten das Gesagte. Natürlich kündete es von Kriegsglück und Triumph.
Danach musste ich tagelang um die Mädchen bangen. Sie litten unter Bauchkrämpfen und sonstigen Vergiftungserscheinungen. Man bahrte sie vor den Toren Numantias auf und überließ sie ihrem Schicksal. Die älteren Schamanen weigerten sich, die Adeptinnen zu pflegen. Sie hatten ihre Aufgabe erfüllt. Nur wenn die Götter es wollten, würden die jungen Druidinnen überleben.
Pieva hinderte mich daran, ihnen zu Hilfe zu kommen. Das wäre ein Tabubruch, der meinem Todesurteil gleichkäme.
Nach drei Tagen und drei Nächten kehrten sieben der Mädchen hinter die Stadtmauern zurück. Sie schleppten drei weitere Adeptinnen mit sich, die den Kampf um ihr Leben verloren hatten. Die sieben jungen Frauen torkelten und taumelten, doch seltsamer Stolz hatte sich in ihren Gesichtern breitgemacht. Erleichtert registrierte ich, dass sich Estella unter den Überlebenden befand.
Das war’s. Ich hatte genug von diesem Wahnsinn. Von Göttern, Glauben und Aberglauben. Es wurde Zeit, einen eigenen Weg zu suchen, um ein Ende der Gewalt auf beiden Seiten herbeizuführen. Ich schob die völlig verblüfften Wachen vor Viriatus’ Haus beiseite und stürzte ins Innere, ohne aufs Zeremoniell zu achten.
»Es wird und kann keinen Sieger geben!«, rief ich dem lusitanischen Kriegsherrn zu, wischte die Karten und hölzernen Strategiefiguren von seinem Tisch und rammte mein Messer ins Holz. »Selbst wenn du die Schlacht gewinnst. Rom wird einen neuen Konsul ernennen und weitere Truppen hierher versetzen ...«
Viriatus wurde blass vor Zorn, und nur mühsam beherrschte er sich. Ich hatte mehrere Regeln gebrochen, als ich in die Versammlung geplatzt war. Mit einer Handbewegung deutete er seinen Kriegsherren, den Raum zu verlassen.
»Wie kannst du es wagen ...«
»Wie kannst
du
es wagen«, unterbrach ich ihn schroff, »alle Anzeichen einer drohenden Niederlage zu ignorieren und immer noch auf ein Wunder zu hoffen? Die Druiden und Schamanen manipulieren das, was sie zu sehen glauben, in deinem Sinn. Gemeinsam reißt ihr die Celtibarra in den Untergang. Gerade jetzt, da ihr euch als ein Volk zu begreifen beginnt und alle Stammesstreitigkeiten beiseiteschiebt ...«
»... werden wir dafür sorgen, dass die Niederlage der Römer allumfassend ist«, sagte Viriatus und verschränkte die Arme vor der Brust. »Sie werden winselnd davonlaufen und zu Hause von unserer Unerschrockenheit erzählen. Davon, dass ein Volk von Bastarden den stolzen Römern Paroli geboten hat.
Das
, mein Freund, ist jenes Ereignis, das Celtos, Ibarra, Lusitanier, Avaker und andere Stämme für alle Zeiten aneinanderbinden wird.«
Er atmete tief durch und sagte dann leise, stockend: »Es kann sein, dass du recht hast, Fiomha aus der Elfenwelt. Vielleicht gewinnen wir eine Schlacht und verlieren dafür den Kampf gegen unseren überlegenen Gegner. Aber wir werden diesen Weg
gemeinsam
gehen. Niemand wird mehr unterscheiden zwischen
diesen
aus Numantia und
jenen
als Lusitanien. Es ist meine Bestimmung, diese Entscheidung herbeizuführen – selbst wenn ich im Kampf untergehe. Jahrzehntelang mag man mich verfluchen. Die Enkel meiner Enkel aber werden sagen, dass
ich
das Land durch meinen Mut und meine weise Voraussicht geeint habe.«
Das war es also: sein ganz persönlicher Zugang zur Unsterblichkeit. Er wollte Ibarra einen, und dazu war ihm jedes Mittel recht.
»Glaubst du nicht, dass sich diese Dinge auch mit friedlichen Mitteln bewerkstelligen lassen?«, fragte ich
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