Elfenzeit 6: Die wandernde Seele - Thurner, M: Elfenzeit 6: Die wandernde Seele
ihn.
Viriatus lächelte müde. »Und die wären?«, fragte er.
»Gib mir eine Chance. Lass mich mit dem römischen Praetor sprechen. Vielleicht ist er vernünftiger als du.«
»Er wurde von Rom hierher versetzt, um das Land unter die Kontrolle eines Reiches zu bringen, das seine Krakenarme in alle Himmelsrichtungen ausstreckt. Glaubst du im Ernst, dass er auf dich hören wird? Weil du ein Elf bist?«
»Nein. Ich hoffe, dass er es macht,
obwohl
ich ein Elf bin«, erwiderte ich und ging nicht weiter darauf ein, dass hinter dem Praetor Servius Sulpicius Galba zwei wesentlich härtere Gegner steckten, mit denen ich verhandeln musste.
Viriatus schwieg lange und betrachtete mich versonnen. »Also gut«, sagte er schließlich. »Du hast
eine
Chance. In vierzehn Tagen befindet sich Galba unweit von hier in einem Kastell namens Aevico. Ich lasse dich ankündigen. Du wirst in meinem Namen verhandeln. Wenn du scheiterst, versuchen wir es auf meine Weise. Einverstanden?«
»Einverstanden!«, sagte ich erleichtert und reichte ihm meinen Unterarm zum Freundschaftsgruß.
In zehn Tagen würde ich mit einer Begleitkolonne aufbrechen, dem Lager der Römer entgegen. Mir blieb ein wenig Zeit, um mir eine Strategie zurechtzulegen. Der Praetor galt als knochenharter Mann, der keinerlei Kompromisse einging. Aber man sagte ihm auch eine gewisse Schwäche für das Klimpern von Sesterzen nach. Er würde mich anhören, dessen war ich mir sicher. Mit meiner Überzeugungskraft, die das Erbe meiner Heimat war, hatte ich einen Vorteil auf meiner Seite. Vielleicht konnte ich ihm die Einflüsterungen seiner Götter austreiben. Bellona und Quirinus befanden sich derzeit im Südwesten des Landes, um dort ihren ganz besonderen Vergnügungen zu frönen. Was dies für die Bevölkerung der betroffenen Landstriche bedeutete, wollte ich mir gar nicht vorstellen.
Ich bettete mich auf mein Strohlager. Seltsame Überschöpfung überkam mich, und weder das Kratzen der Halme noch die Bisse kleiner Plagegeister, die sich in meiner Lagerstatt eingenistet hatten, würden mich noch länger vom Schlaf abhalten. Ich fand kaum Zeit, mein Tagesgewand abzulegen und Cucurr ein paar Fleischhäppchen hinzuwerfen, als ich auch schon ... schon ...
Als ich erwachte, leuchtete der Vollmond durch den Spalt meiner Tür auf mich herab. Ein Wolf heulte laut, und von irgendwoher tönte der Ruf einer Eule.
»Es ist so weit«, flüsterte eine Stimme aus dem Dunkeln.
»Wer ist da?« Alarmiert tastete ich nach Guirdach.
»Ganz ruhig«, sagte Estella. »Reg dich nicht auf. Während der nächsten Tage wirst du selbst das geringste Fünkchen an Kraft benötigen. Nur wenn du diese Hürde bewältigst, wirst du es schaffen, Ibarra Frieden zu schenken. Denn dies ist deine Bestimmung.«
Die Adeptin blickte mich ernst an. Sie sah erholt aus; eigentlich besser als je zuvor. Ich hatte seit der Weissagung, an der sie beteiligt gewesen war und die ihr fast das Leben gekostet hatte, nicht mehr mit ihr gesprochen. Irgendetwas hinderte mich seitdem daran, den Kontakt zu ihr zu suchen.
»Wovon redest du?« Ich schöpfte Wasser aus einem Holzbottich und trank. Augenblicklich fühlte ich mich besser. Wacher.
»Du bist ein blinder Narr, Fiomha aus der Anderswelt«, sagte die Druidin. »Seit Wochen beobachte ich, wie sich dein Körper verändert. Wie sich Risse in deinem Leib zeigen. Wie du zu explodieren drohst ...«
Erschrocken tastete ich über Brust und Bauch. Da war nichts. Keine Wunde, keine Narbe. Das Mädchen redete Unsinn.
»Komm mit«, sagte es leise, packte meine Hand und zog mich mit sich. Leichtfüßig lief Estella dahin. Ihre Beine schienen den Boden kaum zu berühren.
Wir schlüpften ins Freie, ohne bemerkt zu werden. Ganz Numantia schlief, und ein ganz besonderer Zauber schien über der Stadt zu liegen. Selbst die Torwachen schlummerten selig vor sich hin, über ihre hölzernen Lanzen gebeugt.
Estella zog mich in Richtung eines nahen Wäldchens. »Eule und Wolf«, sagte sie atemlos, »werden deine Paten sein. Und auch andere. Solche, die wie du aus fremden Welten stammen. Sie werden zusehen, wie
es
geschieht. Denn es ist das größte Wunder, das man sich vorstellen kann ...«
Wir erreichten den Waldrand. Barfüßig lief die Druidin dahin, tauchte zwischen Eiben, Eschen, Eichen und Buchen ins Dunkel ein, fand ihren Weg mit blindem Vertrauen. Ich hatte in diesem Wäldchen oft nach Rotwild gejagt, und ich meinte, jeden Strauch zu kennen. Doch niemals zuvor hatte ich die
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