Elfenzeit 6: Die wandernde Seele - Thurner, M: Elfenzeit 6: Die wandernde Seele
Cucurr ließ ich in der Pflege eines alten Druiden zurück. Der Bluthase war ein treuer Jagd- und Reisegefährte. Doch auf einer derart heiklen Mission schien er mir fehl am Platz zu sein.
Wir reisten mit kleinem Gefolge. Vier Bewaffnete bildeten die Vorhut, drei Reiter und wir bewachten die beiden Karren mit unseren Habseligkeiten, und sechs Fußsoldaten schützten uns vor Angriffen aus dem Rücken. Ich hielt die Vorsichtsmaßnahmen für überflüssig. Immerhin beherrschte Viriatus samt seinen Truppen weite Teile des Gebietes rings um Numantia. Doch das Zeremoniell wollte es offenbar, dass wir nicht allein vor den Toren Aevicos auftauchten.
Die eineinhalb Tage dauernde Reise verlief ereignislos. Dunkle Wälder wechselten sich mit ausgedehnten Ebenen ab. Durch eine flache Furt überquerten wir den
Fluvius Duero
, der in der hochsommerlichen Hitze wenig Wasser führte und kaum gefährlich wirkte. Erst mit den Regenfällen des Herbstes würde er sich in ein reißendes Gewässer verwandeln. Dann ging es durch hügeliges Gelände immer weiter westlich, bis wir, inmitten einer Ebene, die bis zum Horizont reichte, auf das Kastell der Römer stießen.
Hörner erschallten, sobald wir in Sichtweite Aevicos gerieten. Pieva schob einen aus Wiesenblumen gebundenen Kranz auf seine Lanze und streckte sie, so hoch es ging, in die Luft. Wir mussten uns darauf verlassen, dass die Römer das vereinbarte Erkennungszeichen anerkannten.
Und tatsächlich: Die Tore der befestigten Anlage öffneten sich. Soldaten traten mit zum Wurf erhobenen Pila hervor. Einer von ihnen kam auf uns zu, ein stinkender und zerlumpt wirkender Kerl, dessen Gesicht von grässlichen Schnittnarben verunziert war. »Servius Sulpicius Galba, genannt der Prunkvolle, erwartet euch«, sagte er, ohne uns zu grüßen. »Beeilt euch gefälligst, Barbaren!«
Unsere Begleiter verstanden nur den zehnten Teil, also blieben sie ruhig und ließen sich nicht aus der Reserve locken. Pieva und ich waren ohnehin auf die Provokationen der Römer vorbereitet gewesen.
»Wir danken dir, Soldat«, erwiderte ich. »Wir sind glücklich darüber, die weithin gepriesene Gastfreundschaft der Römer genießen zu dürfen.«
Er wirkte irritiert, konnte mit meinen Worten nichts anfangen und verstand die Ironie nicht, die dahintersteckte. Nun setzte ich nach. Ich nutzte meine ganz besondere Elfenbegabung, mit Worten zu spielen und die Menschen dazu zu bringen, das zu tun, was ich wollte.
Man ließ uns ins Kastell ein. Wir mussten alle unsere Waffen ablegen, mit Ausnahme der Messer. Meine Männer murrten zwar, beugten sich aber schließlich. Sie wurden in ein größeres Zelt geführt, in dem sie trübes Wasser und Fleischabfälle kredenzt bekamen. Ich hatte von vornherein darauf geachtet, nur besonders robuste Celtiberra für diese heikle Mission zugeteilt zu bekommen. In langen Gesprächen hatte ich sie darauf vorbereitet, dass man danach trachten würde, uns zu demütigen. Sie mussten ruhig bleiben und jede Schmach über sich ergehen lassen. Wichtig blieb einzig und allein, was zwischen dem Praetor und uns ausgemacht wurde. Erleichtert stellte ich fest, dass meine Männer ihre Nerven im Zaum behielten.
Der Narbige führte Pieva und mich auf das zentrale Zelt des Lagers zu. Ich sah mich um. Aevico wirkte sauber und aufgeräumt. Soldaten lungerten im Schatten des Palisadenzauns und würfelten. Andere schärften ihre Waffen, auf dem Trainingsplatz standen sich mehrere stark schwitzende Kämpen gegenüber und hieben mit Holzschwertern aufeinander ein.
Man wollte uns ein reguläres Leben vorgaukeln, doch das Bild täuschte. Denn ein Blick auf die halb verhungerten Lagerhunde der Römer reichte, um zu wissen, dass Nahrung knapp war in Aevico. Die Römer saßen inmitten einer blühenden, von wogenden Weizenfeldern beherrschten Landschaft, und doch bezahlten sie jeden Ernteversuch mit Toten und Verletzten. Ich kannte Viriatus’ Taktiken. Er schreckte auch nicht davor zurück, Brunnenwasser zu vergiften oder das Land in Brand zu stecken.
Die beiden Wachen vor dem mit pompösen Stickereien besetzten Zelt schlugen die Tücher zurück. Der Zernarbte blieb stocksteif stehen. Er war nicht berechtigt, ins Reich seines Herrn vorzudringen.
Ein in feinen Stoff gehüllter Kämmerer erwartete uns. Schweigend führte er uns tiefer ins Innere. Auch dort standen bewaffnete Wachen. Sie stanken nach Schweiß, und ihre Blicke verfolgten uns, als warteten sie nur darauf, dass wir eine falsche Bewegung
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