Elfenzeit 6: Die wandernde Seele - Thurner, M: Elfenzeit 6: Die wandernde Seele
immer an die schönen Stunden in Eurem Zelt erinnern.«
Der Praetor zuckte die Achseln. »Nimm sie dir. Sie ist kein schmerzlicher Verlust, nur für euch Primitive mag sie von einem gewissen Wert sein.«
Galba hielt wie erhofft Wort und ließ uns ziehen. Solange er die Sesterze nicht in seinen Händen hielt, würde Frieden im Land herrschen. Und wenn alles so geschah, wie ich es mir erhoffte, dürfte der Senat unseren Vertrag mit dem Dicken bestätigen. In Rom saßen Menschen mit mehr Vernunft als in der Provinz des Reiches. Sie würden Kosten und Nutzen gegeneinander aufrechnen und erkennen, dass ein Land, das Tribut zahlte und dafür Frieden hielt, wesentlich wertvoller war als eines, das man mit Blut erobern musste.
Ibarra benötigte Zeit, das wusste ich. Zeit, um die Stämme auf friedlichem Wege zu einen. Ein aggressiv expandierendes Reich wie das der Römer würde eines Tages implodieren. Dann schlug die Stunde der Keltenvölker. Bis dahin mussten sie ihr Temperament im Zaum halten und auf ihre Chance warten.
Die befreite Sklavin hieß Extiba. Sie stammte aus dem Nordwesten, von einem Volk, das hauptsächlich entlang der steilen Küsten siedelte und einen gutturalen Dialekt pflegte, den sonst kaum jemand in Ibarra verstand.
Der Praetor hatte Extibas Arm mehrfach brechen lassen und sie für ihr Leben gezeichnet. Die Druiden in Numantia taten ihr Bestes, um physische wie psychische Wunden zu heilen, und es schien mir, als machte sie Fortschritte. Doch in ihr brannte eine dunkle Glut, die mich erschreckte. Wenn sie in mein Haus schlich, um mir ihre Dankbarkeit zu beweisen, tat sie es, ohne ein Wort zu sprechen. Sie küsste und verführte mich mit einer ungewöhnlichen Leidenschaft, um noch vor dem Morgengrauen wieder zu verschwinden und mich während des Tages keines Blickes zu würdigen. Wir fanden zu einer unausgesprochenen Übereinkunft. Extiba und ich mochten niemals ein Paar werden, aber wir schenkten einander, wonach wir uns aus unterschiedlichen Gründen sehnten.
Viriatus, Pieva und ich trafen uns mit Unterhändlern des Praetors. Wir gingen Vertragstexte durch, setzten Präambeln hinzu und formulierten so, dass beide Seiten mit den Bedingungen leben konnten. Während der Verhandlungen drängte ich zur Eile, denn ich wusste, dass die beiden Annuna Bellona und Quirinus auf dem Weg zurück in die südöstlichen Provinzen waren, um Galba zu treffen. Falls sie eintrafen, bevor die Verträge unterzeichnet waren, hatten wir verloren. Götter ließen sich nur selten bestechen.
Ich lernte, mit meiner Seele umzugehen, und ich begriff ihre unendlichen Weiten. Sie erlaubte mir, Dinge zu sehen und zu erkennen, die einem Elfen nichts bedeuteten.
Der Verlust Estellas schmerzte im Nachhinein umso mehr. Ihre Berührungen, die mich manchmal überrascht hatten, waren Zärtlichkeiten gewesen; ihre Worte, eigentlich in einer derben Sprache, erwiesen sich als kleine Kunstwerke von ungeahnter Tiefe. Meine Nächte blieben einsam. Extiba gab mir, was der Körper verlangte. Aber sie vermochte nicht jene Leere zu füllen, die Estella hinterlassen hatte.
Der Tag unserer Abreise zur alles entscheidenden Vertragsunterzeichnung in der kleinen Küstenstadt Cituvia brach an. Im Gefolge von mehr als hundert erfahrenen Kämpfern ritten Viriatus, Pieva und ich los. Den Karren mit dem Gold führten wir in unserer Mitte – zumindest für einen Teil des Weges.
Das Numantia, das wir verließen, war mittlerweile auf 6000 Bewohner angewachsen. Wir hatten unser Bestes gegeben, um die Infrastruktur den Umständen anzupassen. Auch die Unterhändler Galbas, die wir ins Innere unserer Tore vorgelassen hatten, redeten respektvoll vom »Oppidum Numantia«, von einer selbst nach römischen Kriterien stadtähnlichen Siedlung. Wie von uns beabsichtigt, hatten die Diplomaten ihrem Praetor berichtet, dass dort eine wehrbereite und in ihrer Leistungsfähigkeit nicht zu unterschätzende Soldateska bereitstand, sollte Galba den Vertrag wider Erwarten nicht unterzeichnen. Umso eiliger schien es der Dicke zu haben, die Verhandlungen zu einem Abschluss zu bringen. Ein Bericht nach Rom, dass
hispania citerior
endlich befriedet war, würde einem Karrieresprung zweifelsohne dienlich sein. Und mit zusätzlichen 150.000 Sesterzen im Beutel konnte er bei den Machtspielen im römischen Senat ein ernstes Wort mitreden.
Ich genoss den viertägigen Ritt durch die frühherbstliche Landschaft. Nun kam das zum Abschluss, was mir Estella aufgetragen hatte. Ich wurde
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