Elfenzeit 6: Die wandernde Seele - Thurner, M: Elfenzeit 6: Die wandernde Seele
bildhübsch, wirkten aber unerfahren; keinesfalls wie jemand, dem man eine derartige Aufgabe zuteilen sollte. Ob Laetico die Mädchen auch für andere ... Pflichten im Inneren seiner Räumlichkeiten heranzog?
Das böse Gefühl in mir wuchs. Auf Tiollo stimmte etwas ganz und gar nicht. Der Prinz war stets ein liederlicher Geselle gewesen; doch der Elf, den ich kannte, hätte niemals solche Nachlässigkeiten geduldet, wie ich ihnen auf Schritt und Tritt begegnete.
Mit einem leisen Pfiff rief ich Cucurr zu mir und gab ihm mit wenigen Kommandos zu verstehen, was ich von ihm erwartete. Er reagierte augenblicklich. Wir beide waren aufeinander eingespielt wie ein altes Menschen-Ehepaar. Mit kleinen Hopsern näherte er sich den jungen Wachelfinnen; leise und unauffällig, wie ich es von ihm gewohnt war. Auf den letzten Metern nahm er Anlauf und sprang auf die vordere Frau zu, krallte sich in eines ihrer Beine und grub seine Zähne in ihr elfenbeinfarbenes Fleisch.
Sie stieß einen Schrei aus, mehr aus Überraschung denn aus Schmerz, und schüttelte das Bein aus, um den Quälgeist loszuwerden. Cucurr biss nochmals zu, bevor er sich von der Wachelfin löste und provokant langsam davonhoppelte.
»Na warte, du Mistvieh!«, rief die Frau. Sie humpelte dem Bluthasen hinterher, gefolgt von ihrer Kumpanin, die in ihrer jugendlichen Unerfahrenheit genau so reagierte, wie ich es erhofft hatte.
Ich eilte aus meiner Deckung, huschte lautlos zum Eingang und öffnete das eichene Tor. Es bewegte sich schwerfällig. Ich schlüpfte hindurch und schloss es hinter mir. Rings um mich herrschte Dunkelheit. Ich hörte Laeticos ruhige Atemzüge. Er schlief seinen Rausch aus.
Lauschend lehnte ich mich gegen das Holz des Tors. Hatten mich die Wachelfinnen bemerkt?
Nein. Soeben kehrten sie auf ihre Plätze zurück und nahmen wieder ihre Positionen ein. Feine Klingen kratzten über die Führungen der Scheiden. Das eine Mädchen fluchte unterdrückt. Der Bluthase war zu meiner Erleichterung entkommen. Er kannte die Wege, Verstecke und Geheimnisse des Korallenschlosses aus früheren Tagen.
Cucurrs Bisse hatten ihr leicht blutende Wunden zugefügt, teilte die eine Elfin ihrer Freundin mit. Der Bluthase sonderte über seine Zähne ein Kontaktgift ab, dessen Wirkung sich nach einer halben Stunde verflüchtigte. Wenn sich die Elfinnen ausreichend auf die Heilkünste verstanden, würden sie die Entzündung mit einem Nesselkraut-Umschlag aus den Blutbahnen ziehen. Doch das sollte nicht meine Sorge sein; die Verletzung war keinesfalls lebensgefährlich.
Erleichtert atmete ich durch. Ich hatte es unbemerkt und ohne Probleme in die Gemächer des Königs geschafft. Nun wurde es Zeit, dass ich mich um Laetico kümmerte. Allmählich gewöhnten sich meine Augen an die Beinahe-Dunkelheit. Durch die dicken Tücher, die über die Butzenfenster gespannt worden waren, drang ein Hauch von Licht; gerade so viel, dass ich wusste, wohin ich mich bewegen musste. Vorsichtig näherte ich mich der Liegestatt, die aus einem hölzernen Gestell mit seltsamen Wandverankerungen und hoch aufgestapelten Polstern bestand. Ringsum hingen faustgroße Kugeln von der Decke. Sie bewegten sich in leichtem Windzug; auf den matt schimmernden Oberflächen waren seltsame Symbole eingeritzt.
Es roch miefig und abgestanden. Mehrmals drohte ich über kreuz und quer im Zimmer verteilte Wäsche zu stolpern. Ein beständiges Summen erinnerte mich an Laeticos Vorliebe für mechanische Spielwerke, die er in anderen Welten hatte sammeln lassen. In seiner Jugend hatte er sich immer wieder in seinen Räumlichkeiten verkrochen und mit filigranen Dingen gespielt; mechanische Uhrwerke, die eine besondere Faszination auf jeden Elfen ausübten. Dazu bewegliche Spielfiguren, prächtig gewandete Handpuppen und Präzisionsinstrumente, die der Orientierung dienten. Meist Gegenstände, die Menschen erschaffen hatten und die ihnen als Ausgleich für ihre eingeschränkten Sinne oder zur Belustigung dienten.
Ich tastete über die Truhe neben dem Bett, bis ich fand, wonach ich suchte: Glimmerstein und Kerze. Schnell zündete ich das Licht an und deckte es mit der Hand ab, sodass nur ein Hauch des Scheins über das Gesicht meines Freundes fiel.
Laetico sah schrecklich aus. Die magische Schminke war verronnen. Darunter kamen tief sitzende Gesichtskerben zum Vorschein, pockige Narben und für einen Elfen völlig unübliche Hautverunreinigungen. Die Nase war angeschwollen, die Spitzohren mehrfach geknickt und von
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