Elfenzeit 6: Die wandernde Seele - Thurner, M: Elfenzeit 6: Die wandernde Seele
Schorf bedeckt. Am seltsamsten wirkte allerdings die Augenpartie. Sie war so dick, als steckten Fremdkörper in den tiefen, von zernarbtem Gewebe bedeckten Höhlen.
»Wer hat dir das bloß angetan?«, fragte ich leise, ohne eine Antwort zu erwarten.
Die Lider hoben sich erschreckend langsam. Hölzerne, bemalte Augäpfel starrten mich blicklos an. Laetico sagte: »Du, mein Freund.«
Erschrocken trat ich einen Schritt zurück. Ich stieß gegen ein Kästchen, auf dem mehrere Metallfiguren abgestellt waren. Sie schepperten laut gegeneinander. Nur dank einer blitzschnellen Reaktion konnte ich verhindern, dass zwei der unterarmgroßen Männchen zu Boden fielen.
»Deine Reflexe sind nach wie vor ausgezeichnet«, sagte Laetico. »Es freut mich, dass dir die Verbannung in die Menschenwelt nicht in jeder Hinsicht geschadet hat.« Noch immer lag er bewegungslos da. Arme und Beine waren gegeneinander verdreht; scheinbar so, wie ihn Quantipot gebettet hatte.
Es klopfte an die Tür. »Ist alles in Ordnung, Majestät?«, hörte ich eine der Wächterinnen mit dumpfer Stimme fragen. »Ich hörte ein Scheppern ...«
»Es geht mir gut!«, rief Laetico zornig. »Lasst mich gefälligst in Ruhe!«
Höhnisches Gelächter drang an meine Ohren. Die beiden Gören machten sich über meinen Freund lustig! Am liebsten wäre ich aufgesprungen und nach draußen gestürzt, um den Wachelfinnen Respekt beizubringen ...
»Beherrsch dich!«, sagte Laetico leise. »Du kannst nichts dagegen unternehmen. Setze dich zu mir; wir wollen reden.«
»Was ist mit dir geschehen? Und was geht hier vor sich?« Ich war vollkommen verwirrt und fühlte mich in Gefahr. Alle meine Sinne warnten mich. Hätte ich nicht meinen Freund neben mir gewusst, wäre ich längst geflohen.
Laetico erhob sich ein wenig. Die Bewegung schien ihm Schmerzen zu bereiten. Ich leuchtete über seinen verdrehten Körper und entdeckte die dünnen, fast unsichtbaren Fesseln aus Zwergengarn, die ihn auf seiner Liegestatt fixierten. »Das ist leicht erklärt, Freund Fiomha«, sagte er mit trauriger Stimme. »Ich bin der Lockvogel, mit dem man dich einfangen wollte. Und es ist
ihr
wohl gelungen.«
Mehrere der von der Decke hängenden Kugeln leuchteten plötzlich grell auf. Sie begannen in einem seltsamen Rhythmus zu schwingen. Aus den geschnitzten Symbolen drang ätzender Rauch, der sich sammelte, zusehends verfestigte und schließlich eine Frauenfigur formte.
Eirinya sagte: »Mein Plan hat also funktioniert.«
Ich zog Guirdach und hielt das Schwert abwehrbereit vor mich. Dies war ein Zauber, den ich nicht kannte.
»Keine Angst, kleiner Fiomha«, sagte die Königin, »ich werde dir nichts tun.« Sie lächelte mich an. Ihr Gesicht war deutlich abgemagert. Es wirkte auf eine ganz besondere Weise immer noch anziehend – aber auch obszön. »Ich
kann
dir nichts tun, denn ich bin eigentlich gar nicht hier. Du siehst lediglich einen Runenschatten meiner selbst, während ich weit entfernt an meinem neuen Wohnsitz weile.« Eirinyas Lächeln vertiefte sich. Möglicherweise sah ich sogar eine Spur von Sehnsucht in ihrem Gesicht, doch der Hass überstrahlte alle anderen Emotionen. »Du kannst mir nicht noch einmal entkommen, kleiner Fiomha. Laeticos Raum wird soeben magisch abgesichert. Meine Schergen werden dich so rasch wie möglich abholen. Bis es so weit ist, könnt ihr euch gerne über alte Zeiten unterhalten und Erinnerungen auffrischen.«
Eirinya nickte mir spöttisch zu. Im Licht meiner Kerze sah ich weitere dünne Fäden, die von ihrem Runenschatten zu Laeticos Bettstatt führten. Sie endeten – in den Augen meines Freundes.
Die Königin drehte sich um und machte – scheinbar – einen Schritt beiseite. Ihr Nebelbild verschwand im Nichts.
»Meine heiß geliebte Stiefmutter ist selbst als Trugbild noch immer die schönste Frau des Königreichs«, sagte Laetico mit Anzeichen von Galgenhumor.
»Aber ich möchte nicht wissen, wie es in ihrer Seele aussieht.«
»Seele?«
Laetico lachte – und bot dabei einen furchterregenden Anblick. »Hast du alles vergessen, oder weißt du nicht mehr, in welcher Welt du dich befindest? Man merkt, wo du dich herumgetrieben hast.«
Ja, das merkte man. Die Geschehnisse in der Anderswelt gewannen für mich mehr und mehr den Charakter eines Schauspiels. Nichts erschien real, alles war Bühne. Meine Erlebnisse im Menschenreich waren von ganz anderer ... Qualität gewesen.
Ich widmete mich Laeticos Fesselung. Die magischen Fäden schnitten tief ins
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