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Elfenzeit 6: Die wandernde Seele - Thurner, M: Elfenzeit 6: Die wandernde Seele

Elfenzeit 6: Die wandernde Seele - Thurner, M: Elfenzeit 6: Die wandernde Seele

Titel: Elfenzeit 6: Die wandernde Seele - Thurner, M: Elfenzeit 6: Die wandernde Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marcus Thurner
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gab.«
    »Meinst du den Ziegenbärtigen?« Morocutti grinste. »Das sind die Hämorrhoiden, die ihn quälen. Er hasst jedermann, der gesünder als er selbst ist. Und natürlich mag er dich nicht. Das ist der blanke Neid. Du bist ein dahergelaufener Adliger unbestimmten Ranges mit märchenhaftem Reichtum, der den Capullos den Rang im Großen Rat streitig machen könnte.«
    Natürlich. Mein kleiner Freund erfasste messerscharf, was ich mir selbst nicht zusammenreimen konnte. Ich musste noch viel lernen, wollte ich mich in dieser ungewohnten Gesellschaft zurechtfinden.
    Ich verabschiedete Morocutti und zog mich in mein Arbeitszimmer zurück. Die Möbel waren längst ausgetauscht, und Filtergitter im Kanal hatten dafür gesorgt, dass der Gestank des Wassers allmählich nachließ. Ich setzte mich nieder und streckte die Beine auf dem prächtig verzierten Tisch aus.
    Warum, so fragte ich mich zum hundertsten Mal, gab ich mich mit den Spielchen der Menschen ab? War es allein aus Neugierde? Wollte ich abstecken, wie sehr ich mich bereits mit ihnen identifizierte, wie sehr ich mich ihrer Gesellschaft angepasst hatte? Oder benötigte ich eine neue Beschäftigung, nachdem mich die ruhelose Suche nach Julia während der letzten Jahrhunderte in völlige Gleichgültigkeit getrieben hatte?
    Wahrscheinlich war es eine Mischung aus beidem. Außerdem erschien es mir nützlich, nahe am Puls der Zeit zu sein. Damals existierte keine bedeutendere Stadt als Venedig – vielleicht mit Ausnahme von Paris. Der europäische Großadel gab sich in den Häusern und Gassen an den Kanälen ein Stelldichein, die Geld- und Handelsgeschäfte blühten, Politiker und Angehörige des Klerus begossen dort ihre Bündnisse – oder brachen sie.
    Unruhig erhob ich mich und tat ein paar Schritte in den hinteren Bereich des Raumes. Dorthin, wo kein Licht drang. Meine Füße fühlten das Blei unter mir. Ich schob den Teppich beiseite und hob die Bleiplatten an. Im Boden befand sich eine Ziegelschicht, auf der das hölzerne Fundament des Hauses ruhte. Und noch weiter unten, in unbestimmbarer Tiefe, floss der nicht minder unbestimmbare Energiestrahl, ruhig und gleichmäßig.
    Die Bewegungsrichtung hatte sich während meiner langjährigen Abwesenheit verändert und einige Meter nach rechts verschoben. Welchen Einflüssen die Energien auch immer unterlagen – sie bewirkten Richtungswechsel, teilten die Strömung, ließen sie mäandern. In gewisserWeise ähnelten sie einem Fluss, dessen Bett sich im Laufe der Jahrtausende wandelte.
    Seit einigen Tagen fühlte ich, dass sich die Linie verbreiterte und verstärkte. Sie wirkte ... aufgeregt. Als kündete sie den Beginn ganz besonderer, ganz großer Ereignisse an.
    »Capullo freut sich darauf, dass du ihm anlässlich seines Geburtstags die Aufwartung machen willst«, sagte Morocutti gut gelaunt. »Aber sieh zu, dass du vorher ausreichend isst. Der Signore ist ein Geizkragen, und er ist bekannt dafür, Ware zu kaufen, die knapp vor dem Verwesen ist.«
    »Mehr hast du mir nicht zu sagen?«
    »Oh doch! Ich habe mich im Gesindezimmer mit einigen seiner Bediensteten unterhalten. Reichlich Alkohol hat ihre Zunge gelöst. Sie schimpften wie die Rohrspatzen auf Capullo, und sie beklagten die niedrigen Löhne, die er ihnen bezahlt.« Er hob abwehrend die Hände, als er bemerkte, dass ich unruhig wurde. »Ich sehe, das sind nicht die Sachen, die dich interessieren. Sei unbesorgt: Es gibt Informationen, die von großer Bedeutung für dich sein könnten.«
    »Dann sprich endlich, Bursche!«
    »Capullo ist nicht nur ein Geizkragen, sondern er ist auch gewillt, seine Seele für den Aufstieg in den Großen Rat zu verkaufen. Und nebenher noch seine einzige Tochter, Julia. Das blasse Geschöpf steht bereit, um an den Meistbietenden veräußert zu werden.«
    Ich zuckte zusammen, als Morocutti den Namen des Mädchens nannte. Augenblicklich kamen die Erinnerungen wieder hoch, und sie ließen mein Herz wie verrückt pochen.
    »Du hast diese Julia gesehen?«
    »Selbstverständlich«, sagte der Kleine beleidigt. »Nachdem ich den offiziellen Teil meines Auftrags erledigt hatte, habe ich das Gebäude noch ein wenig ausgekundschaftet.« Beinahe empört fügte er hinzu: »Es ist eine Schande, wie wenig Wert manche Menschen auf Bewachung und Schutz legen! Binnen weniger Sekunden gelangte ich an laut schnarchenden Wärtern vorbei in den Frauentrakt.«
    »Du wirst doch nicht ...«
    »Was denkst denn du?« Morocuttis Grinsen wurde immer breiter.

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