Elfenzeit 8: Insel von Feuer und Nebel - Schartz, S: Elfenzeit 8: Insel von Feuer und Nebel
aber meine Lebenskraft ist fast verbraucht. Und du bist ein Jungspund niederen Rangs.«
Die Schlussfolgerung daraus wollte Pirx überhaupt nicht hören.
Noch weniger wollte sich der Pixie mit der nächsten Feststellung abfinden: Niemand war bisher aus diesem Verlies entkommen. Wer einmal durch die große Schlangengittertür gezerrt worden war, kehrte nie mehr wieder. »Wie könnt ihr euch einfach ergeben?«, schrie er in die Höhle hinein, und sein Vorwurf brach sich als dünnes, aber vielfaches und gut verständliches Echo an den schrundigen Felswänden.
»Sag uns lieber, was hier los ist!«, brüllte ein Sterblicher zurück. Ein Mann um die dreißig, dessen T-Shirt und Jeans in Fetzen an ihm hingen. Er war wie Pirx angekettet und riss wild an den Fesseln. Die Haare hingen ihm wirr ins Gesicht, Kinn und Wangen verdeckte ein dichter Vollbart. »Ich bin auf einer Fähre nach Sizilien übergesetzt und finde mich hier in einem Albtraum wieder, aus dem ich nicht erwachen kann! Bin ich im Koma? Eine andere Möglichkeit gibt es nicht!«
»Genau, es ist alles nur Einbildung«, erklang eine spöttische Stimme aus einem vergitterten Kerker, ein Mann in mittleren Jahren, der einmal einen teuren Anzug getragen hatte. »Wie wär’s, wenn Sie mich aus Ihrem Kopf spazieren lassen, in dem Sie mich gefangen halten?«
»Ach, reden Sie doch nicht so einen Unsinn!«
»Sagen Sie mir lieber mal, in welcher Sprache Sie mich ankeifen!«
»Ich bin Engländer, und Sie?«
»Italiener. Und genauso spreche ich auch: italienisch.«
»Unsinn, ich verstehe nur Englisch.«
»Hört doch endlich auf!«, kreischte eine Frau dazwischen. »Ihr macht mich
krank!
« Sie befand sich nicht weit weg von Pirx in einem anderen winzigen Verschlag und starrte den Pixie aus irrlichternden Augen an. Sie war Mitte dreißig, von der feinen Haut, dem Profil und der schlanken Gestalt her vermutlich eine Römerin. »Was geht hier vor sich?«, flüsterte sie kraftlos. »Halluziniere ich? Das ist doch alles gar nicht möglich …«
»Leider doch«, erwiderte Pirx. »Sie haben eine Grenze überschritten – in die Anderswelt.«
»Nein … das sind alles nur Märchen …«
»Wir
sind
hier, Signora. Genauso wie Sie. Sie befinden sich in unserer Welt, deswegen können Sie uns sehen und verstehen. Wir alle sprechen an diesem Ort dieselbe Sprache.« Warum das so war, wusste Pirx nicht. Vielleicht, weil der Ätna so alt war, ein Ur-Ort, an dem vieles begonnen hatte. Diese ursprünglichen Plätze waren älter als alle Sprachen.
Allerdings wusste Pirx, dass die Menschen sowieso keine Chance hatten, je länger sie sich hier aufhielten. Skylla brauchte sie gar nicht zu fressen, sie waren ohnehin zum Tode verurteilt, wenn sie zu lange in der Anderswelt blieben. Sobald sie in ihre Welt zurückkehrten, würden sie innerhalb kürzester Zeit altern und sterben. Der Wechsel von Zeit zu Zeitlosigkeit und wieder zurück konnte von den Sterblichen auf Dauer nicht verkraftet werden, mit Ausnahme der Grenzgänger. Auch wenn die Grenzen nicht mehr so undurchlässig waren und die Zeit Einzug gehalten hatte in der Anderswelt, konnte die Anpassung nicht so schnell erfolgen. Aber das brauchte er der völlig verstörten Frau nicht zu sagen.
»Aber warum jetzt?«, fragte sie verzweifelt.
»Weil es immer eine Veränderung gibt«, antwortete der kleine Igel behutsam. Die Wahrheit konnte er ihr nicht sagen, und das Lügen fiel ihm schwer. Darin war er eine ganz besondere Ausnahme unter den Elfen. Normalerweise sagte ein Elf so gut wie nie die Wahrheit. Ein bisschen wunderte Pirx sich, dass die anderen Elfen ihn nicht auspfiffen wegen dem, was er gesagt hatte.
Veränderung
, was für ein Unwort, ja Schimpfwort! Für so eine unerhörte Beleidigung hätte Pirx früher jede Menge Prügel eingesteckt. In der Anderswelt hatte es das nun einmal nicht gegeben … bis der Herbst Einzug gehalten hatte.
Aber vielleicht hatten die gefangenen Elfen schon resigniert und sich der Gleichgültigkeit überlassen. Sie hörten einfach nicht mehr zu, sondern gaben sich geistig abwesend. Immer noch besser als Veränderung.
»Hören wir auf zu jammern, tun wir uns lieber zusammen und überlegen wir, wie wir hier rauskommen!«, fuhr der italienische Geschäftsmann fort. Nun, nachdem eine Unterhaltung in Gang gekommen war und sich zeigte, dass sie alle am selben Strick ziehen mussten, rüttelte er sofort am Solidaritätsempfinden.
Eine menschliche Eigenschaft, die Pirx schon kennengelernt hatte und die er
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