Elfenzeit 9: Im Bann der Dunklen Königin - Schartz, S: Elfenzeit 9: Im Bann der Dunklen Königin
die Andersweltlichen nicht bei ihren richtigen Namen zu nennen.
Die Augen der Frau richteten sich auf die Ferne. »Ich weiß nicht, wer ich bin«, sagte sie langsam. »Ich habe alles vergessen. Ein weiter Weg muss hinter mir liegen, zumindest habe ich das Gefühl … Du hast mich hier gefunden, sagst du?«
»Gerade eben. Du hast bewusstlos dagelegen.«
»Ohne Kleidung.«
»Ja! Du nimmst doch wohl nicht an, dass ich …«
Sie verzog die Lippen spöttisch. »
Du?
Gewiss nicht.«
Tómas war beleidigt. Seine Ehre war gerettet, aber sein männlicher Stolz verletzt. Er entschloss sich, darüber hinwegzugehen. »Ich bin Tómas. Du musst hungrig sein. Komm mit mir in meine Hütte, dort finde ich vielleicht auch noch etwas zum Anziehen, von meiner Frau.«
»Deiner Frau?«
»Sie starb vor zehn Jahren.«
Die Fremde versuchte aufzustehen, aber sie war zu schwach, und ihr schwindelte; fahrig tastete sie um sich. Ihr blieb nichts anderes übrig, als die Hilfe des Fischers anzunehmen. Er legte sich ihren Arm um die Schultern und stützte sie, während sie zur Hütte gingen, die Tómas nun als das Schäbigste diesseits und jenseits der Welt erschien. Ein windschiefes, nur halbhoch mit Steinen gemauertes, dann mit Holz umfasstes Häuschen, das strohgedeckt war und kaum größer als ein Hühnerstall. Es gab kein Fenster, nur die Tür und einen Rauchabzug. In dem einzigen Raum gab es gerade Platz für die Kochstelle, ein paar Matten auf dem Boden und zwei schmale Ruheplätze. Im Anbau daneben waren die wenigen Vorräte und Werkzeuge untergebracht, draußen auf den Gestellen hingen die fertigen Netze. Ansonsten besaß Tómas noch ein kleines Boot für den Fischfang und in einer Truhe ein wenig Kleidung. Darin wühlte er jetzt herum und fand tatsächlich noch ein Kleid seiner toten Frau. Die Fremde nahm es mit indigniertem Gesicht an, dann schob sie ihn beiseite und suchte sich noch ein paar Sachen dazu.
»Warte draußen!«, befahl sie, und Tómas gehorchte. Als sie ihn wieder hereinrief, war er erstaunt, wie sie es geschafft hatte, sich mit diesen Lumpen manierlich zu kleiden.
»Schuhe habe ich leider keine«, gestand er verlegen. Er besaß nur ein einziges Paar Holzschuhe, das er ängstlich hütete.
»Das macht nichts«, erwiderte sie. »Es ist Sommer.« Sie band ihr Haar im Nacken zusammen und kauerte sich vor die Feuerstelle.
Tómas beeilte sich, ein Feuer zu entfachen, setzte einen Kessel Wasser für Kräutertee auf, knetete Mehl und formte einen Fladen, den er in die Glut legte. Dazu reichte er Räucherfisch und einen sorgsam aufgesparten Lagerapfel.
Die fremde Frau verzehrte alles, ohne ein Wort zu sagen, ihre Miene war unergründlich. Tómas wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Sonderlich dankbar zeigte sich die Frau nicht, obwohl sie allen Grund dazu hatte. Zum einen hatte er ihr das Leben gerettet und ihr zu essen gegeben, obgleich er selbst kaum etwas hatte, zum anderen verhielt er sich bisher wie ein Ehrenmann. Das könnte bestimmt nicht jeder von sich behaupten.
»Wirst du bleiben?«, fragte er schließlich scheu.
»Wohin sollte ich schon gehen«, antwortete sie. »Ich weiß nichts. Ich kenne dieses Land nicht, dieses Jahr. Alles ist mir fremd, einschließlich meiner selbst.«
Diese Antwort gefiel ihm.
Allerdings täuschte Tómas sich gewaltig, wenn er glaubte, dass die Fremde ihm zur Hand gehen würde, wie es sich für eine anständige Frau gehörte. Diese aber sah nicht nur aus wie eine Adlige, sie benahm sich auch so. Sie war herrschsüchtig, trieb ihn zur Arbeit an, schimpfte ihn faul und sein Heim einen Schweinestall. Sie schalt und nörgelte den ganzen Tag, und nachts verpasste sie ihm eine heftige Kopfnuss und drohte ihm schlimmere Schmerzen andernorts an, falls er weiterhin versuchte, nach ihr zu greifen.
Trotzdem nannte er sie Àtha, Freude. Denn sie war eine Frau, sie war da, und obwohl sie nichts tat, veränderte sich doch alles zum Guten. Die Hütte war ausgebessert und ordentlich, die Gestelle für die Netze haltbarer, das Boot nicht mehr leck und das Werkzeug ordentlich aufgereiht. Tómas fing fleißig Fische, ging Frühkräuter und die ersten Beeren sammeln, und er wusch sich jeden Tag und schabte sich das Kinn glatt. Manchmal war er so müde von der Arbeit, dass er beim Kochen die Augen kaum offen halten konnte, und danach schlief er wie ein Stein, sodass er gar nicht mehr auf dumme Gedanken kam. Doch er war zufrieden wie schon lange nicht mehr, als hätte er einen neuen Lebenssinn
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