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Elfenzorn

Elfenzorn

Titel: Elfenzorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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dann geschah etwas wirklich Sonderbares. Pias Angst erlosch so abrupt, als wäre sie abgeschaltet worden. Für einen einzelnen verblüfften Herzschlag empfand sie nichts als Verwirrung, und dann ergriff ein nie gekanntes Hochgefühl von ihr Besitz, ein Gefühl von Freiheit und Euphorie, wie sie es in dieser Intensität noch nie zuvor gespürt hatte. Sie war nicht sichergewesen, hatte aber irgendwie einfach vorausgesetzt, dass sie Angst vorm Fliegen hatte, doch das genaue Gegenteil war der Fall: Irgendein besonders hartnäckiger Teil ihres Verstandes rebellierte noch schwächlich gegen die Erkenntnis, aber Tatsache war, dass sie von einem Atemzug auf den anderen einfach wusste , dass dies ihr wahres Element war, dass sie genau hierhin gehörte, in die endlose Freiheit so hoch über der Erde und in den Sattel des Pegasus. Sie schrie noch immer, aber jetzt war es ein Jubilieren, das aus ihrer Kehle kam, ein Laut reiner, unverfälschter Freude, endlich da zu sein, wohin sie immer gewollt hatte.
    Höher und höher schwang sich der Pegasus in die Luft. Seine gewaltigen Schwingen peitschten und entfesselten einen Sturmwind, der ihren Schrei davontrug und an ihrem Haar zerrte, aber das war nicht alles. Der Hengst flog nicht nur, sondern galoppierte durch die Luft, und manchmal – Pia war nicht sicher, aber sie war auch ebenso wenig sicher, es nicht zu sehen –, manchmal war es ihr, als stoben hellrote und gelbe Flammen da unter seinen Hufen hervor, wo sie auf die Leere unter ihm trafen.
    Schnell wie ein Pfeil schoss der prächtige Pegasus durch die Luft, und der gewellte grüne Ozean unter ihm jagte nur so dahin, Stunde um Stunde um Stunde, wie es schien. Irgendwann begann die Zeit mehr und mehr ihre Bedeutung und ihre Macht zu verlieren, und es war, als bewegten sie sich nicht nur durch die Luft, sondern gleichsam durch das Gewebe der Wirklichkeit. Vielleicht war es tatsächlich so, und nicht nur der Dschungel, sondern auch Welten und Zeitalter glitten nun unter ihnen vorbei.
    Irgendwann, nach einer Million Jahren oder einer Stunde – und vielleicht war der Unterschied nicht einmal annähernd so groß, wie sie bisher geglaubt hatte – ließ der Nachschub an Endorphinen und Adrenalin in ihrem Kreislauf nach, und der Rausch ebbte ab, verschwand aber nicht ganz. Ein sachtes Glücksgefühl blieb oder einfach das Wissen, dass das, was sie tat, richtig war. Flammenhuf ... Wie hatte sie nur jemals Angst vor diesem wunderbaren Geschöpf haben können?
    Sie fand keine Antwort auf diese Frage, aber im gleichen Maße, in dem der Rausch abklang, meldete sich ihr Verstand (und die alte, immer misstrauische Pia) zurück, und sie konzentrierte sich mehr und mehr darauf, nicht nur den fantastischen Flug zu genießen, sondern die Landschaft unter sich auch zu beobachten; und sich irgendwann die Frage zu stellen, wohin sie eigentlich flogen.
    Der Dschungel schien tatsächlich endlos zu sein. Inzwischen mussten sie – auch ganz objektiv betrachtet – schon seit einer geraumen Weile unterwegs sein, und Flammenhuf flog wirklich schnell , aber unter ihr änderte sich nichts. Flammenhufs Schwingen und wirbelnde Hufe fraßen Meile um Meile, doch die wogende grüne Unendlichkeit blieb immer gleich, und auch die Schemen am Horizont kamen nicht wirklich näher, sondern schienen sich auf geheimnisvolle Weise immer um dieselbe Distanz zu entfernen, auf die sie sich ihnen zu nähern glaubte.
    Das monotone Einerlei begann langsam eine einlullende Wirkung auf sie auszuüben, und ganz plötzlich spürte sie, wie müde sie eigentlich war, und das mit allem Recht der Welt. Sie wusste nicht, wie lange sie bewusstlos gewesen war, aber davor hatte sie endlose Stunden nicht geschlafen, und zu viele dieser Stunden waren angefüllt gewesen mit Furcht und Flucht und verzweifelten Kämpfen. Geheime Elfenprinzessin oder nicht, auch ihr Körper war letzten Endes aus Fleisch und Blut, und irgendwann pochte er auf sein Recht.
    Schließlich gab sie der Müdigkeit nach und ließ ihr Gesicht in die samtweiche Mähne des Pegasus sinken.
    Als sie erwachte, war es dunkel, und die Schatten am Horizont waren endgültig zu Bergen geworden. Flammenhufs Schwingen teilten die Luft noch immer mit gleichmäßigen Schlägen, und seine Hufe schlugen noch immer gelbes und rotes Feuer aus der Leere, durch die sie rasten. Die Welt unter ihr war jetzt schwarz, nicht mehr grün, was aber daran lag, dass sich eine vollkommen mond- und nahezu sternenlose Nacht über das Land

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