Elia Contini 03 - Das Verschwinden
Savis Geschmack durften sie weder zu jung noch zu alt sein: Im Allgemeinen waren seine Tänzerinnen zwischen siebzehn und fünfundzwanzig.
»Du bringst sie bestimmt anderswo unter«, sagte er zu Ferdi, während er sich ein Glas Weißwein einschenkte.
Ferdi musterte ihn mit halb geschlossenen Lidern, was typisch für ihn war. Trotz der weißlichgrauen, kränklich wirkenden Gesichtsfarbe war sein Körper muskulös und voller Spannkraft; seine Bewegungen aber waren immer träge, als schliefe er halb.
»Schon klar, Luciano. Aber ich wüsste gern, was deine so genannten Probleme sind.«
»Ach, nix Besonderes. Bürokratischer Ärger.«
»Sicher?«
»Sicher.«
Natürlich konnte sich Savi keine Vertraulichkeiten erlauben. Ferdi kannte gefährliche Leute, und er durfte niemanden auf seltsame Gedanken bringen. Dass im Fall eines Mordes auch ein Mädchenhandel in den Blickpunkt der Polizei gerät, ist schließlich nicht unwahrscheinlich. Und daran wäre dann er, Savi, schuld.
»Wie du meinst. Aber erinnere dich bitte, dass wir kein Restaurant à la carte sind. Durchaus möglich, dass du beim nächsten Mal nicht mehr die erste Wahl hast.«
»Klar, das ist fair. Ist nur fair.«
»Und auch wir haben unseren Ärger mit den Ämtern. Ich muss zugeben, dass mir diese Absage in allerletzter Minute äußerst ungelegen kommt.«
»Das ist mir klar.«
»Vor allem wenn man mit einrechnet, dass du mir fast alle Mädchen zurückgeschickt hast, die du für die letzten drei Monate hattest. Was für ein Sommer soll das werden, deiner Meinung nach?«
»Oh, ein ganz ruhiger, vielleicht mach ich ein bisschen Ferien.«
»Ferien?«
»Ja, genau.«
»Ferien«, wiederholte Ferdi mit halb geschlossenen Lidern. »Ferien … Komisch, aber aus deinem Mund hört sich das wirklich seltsam an, wer weiß, wieso.«
Sollte irgendetwas durchsickern und die Polizei eine Verbindung zwischen dem Mord und den ausländischen Künstlerinnen vermuten, würde sich Ferdi natürlich sofort in Luft auflösen, das war klar. Er würde Savi der Polizei zum Fraß vorwerfen und wäre nicht mehr greifbar. Savi hatte keine Telefonnummer von ihm, er wusste nicht mal, wie er wirklich hieß. Wenn sie sich trafen, dann immer zum Essen im Restaurant oder auf einen Apéro inmitten einer Menschenmenge.
»Na gut, lass uns was essen«, schlug Savi munter vor, um seine Erwähnung eines Urlaubs vergessen zu machen.
Sie saßen in einer Ecke der Piazza auf der Veranda eines Restaurants. Ferdi bestellte sich einen Salat und ein Mineralwasser, Savi eine Pizza mit Sardellen und ein großes Bier dazu. Während sie aufs Essen warteten, betrachtete er den Platz voller Touristen und Sonnenschein. Mütter mit Kinderwägen schlenderten vorüber, und zahlreiche Gruppen Jugendlicher hingen herum. Die hatten alle nichts zu tun.
»Jedenfalls haben wir doch immer gute Geschäfte gemacht, wir zwei, oder?«
»Natürlich.« Ferdi vermengte seinen Salat. »Immer gute Geschäfte.«
Savi konnte einfach keine Ruhe geben. Das Tukan war sein Leben. Was hätte er denn sonst angefangen – allein und in seinem Alter?
»Und das bleibt auch in Zukunft so!«, rief er. »Lass mir diesen einen Sommer Zeit, dann läuft mein Laden wieder rund.«
»Paar Wochen Ferien, was?«
Savi nickte und bemühte sich um ein Lächeln. Dann senkte er den Blick auf seine Pizza.
In dem Moment, als er auf eine Sardelle biss, kam ihm die rettende Idee. Außer ihm wusste schließlich keiner, dass dieses Mädchen in den Wald geflohen war; wer weiß, wo die Polizei nach der Göre suchte. Savi war also klar im Vorteil, und den galt es zu nutzen. Was, wenn er die Kleine als Erster fand?
Giovanni verließ den Weg und stieg – schräg, weil es recht steil abwärts ging – einen Hang hinunter. Am Fuß des Abhangs, das wusste er, machte der Tresalti eine Krümmung, und dort gab es einen schönen Tümpel. Auf einer kleinen Lichtung, noch im Schutz der Bäume, montierte Giovanni seine Angelrute.
Es war eine Teleskoprute, und um von der felsigen Uferböschung aus, zwischen den Ästen der Bäume, im Tresalti zu angeln, genügten drei Viertel der Maximallänge. Giovanni führte die Schnur durch die Ringe, zog einen Stopper auf und die Schnur durch die Öse am Schwimmer; dann befestigte er einen Wirbel an der Schnur und hängte daran einen Haken. Mit einem Klemmblei tarierte er den Schwimmer aus. Aus einer Innentasche seiner Jacke zog er die Dose mit den Würmern, suchte sich einen aus und spießte ihn auf den Haken. Derart
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