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Elia Contini 03 - Das Verschwinden

Elia Contini 03 - Das Verschwinden

Titel: Elia Contini 03 - Das Verschwinden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Fazioli
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gerüstet, schritt er zur Tat. Bevor er anfing, sah er sich alles in Ruhe an.
    Das Wasser war glasklar. Giovanni blieb halb verborgen hinter einem Felsblock und ließ den Köder am Haken über dem Wasser baumeln; er zielte auf die näher gelegene Seite des Tümpels, knapp hinter den Stromschnellen, wo die weiße Gischt aufhörte, das Wasser aber noch munter dahinplätscherte, wenn auch mit reduzierter Geschwindigkeit: Dort sank der Haken in den Fluss, das war die richtige Stelle. Giovanni gab von Hand ein wenig Schnur nach und ließ den bestückten Haken laufen. Aus dem Augenwinkel hatte er bereits den idealen Aufbewahrungsplatz für die Forellen erspäht, eine kleine sandige Fläche rechts von ihm. Aber es biss keine an.
    Er versuchte es abermals, und beim zweiten Mal verfing sich der Haken.
    Giovanni kam aus seinem Versteck. Um den Haken von den Kieseln zu lösen, die ihn festhielten, musste er den Arm fast bis zur Schulter eintauchen. Kalt war es, aber nicht so eisig, wie er gedacht hätte. Die Forellen hatten sich jetzt natürlich in ihre Löcher verzogen.
    Der Wald erschien ihm wie ein Bühnenvorhang. Ein Stück über ihm, hinter dem Dickicht der Haselnussstauden, schimmerte das Weiß eines Wasserfalls hervor. Kein Publikum: Das Schauspiel war nur für ihn. Sie waren allein miteinander, Giovanni, der Bach und die Forellen. In den schönsten Momenten vergaß er wirklich, dass es noch eine Welt außerhalb gab. Das ging oft ganz von selbst – nur manchmal musste er so tun, als existierte sie nicht.
    Er versuchte es in einem anderen Tümpel. Er versenkte den Köder dort, wo das Wasser am dunkelsten war, neben einem untergegangenen Baumstamm. Gleich darauf spürte er einen Ruck, wartete den Bruchteil einer Sekunde, dann zog er an und kurbelte. Die Forelle flog durch die Luft und landete zwischen den Felsen. Giovanni legte die Angelrute ab, ging auf die Forelle zu und hob sie auf. Er schätzte ihre Länge: gut fünfundzwanzig Zentimeter. Sie schimmerte silbern, unten hell, oben dunkel, und die roten Punkte auf ihrem Rücken glänzten. Er betäubte den Fisch mit einem Stein und stach ihm mit seinem Anglermesser ins Herz.
    Er fing noch zwei weitere Forellen, und nach diesem Anglerglück stieg er flussaufwärts bis zum Wasserfall, wo er sich auf einen Stein setzte, um zu rasten. Er war froh, dass er hier heraufgekommen war, entlang dem Bach, den er kannte wie seine Westentasche. Nach dem letzten Gewitter waren neue Tümpel entstanden. Während er wie hypnotisiert den Wasserfall betrachtete, vernahm er ein Geflatter. Eine Wasseramsel war aufgeschreckt und hatte in einer Holunderstaude Zuflucht gesucht.
    Seine drei Forellen hatte er zusammen mit ein paar Farnblättern in einer Leinentasche verwahrt. Er holte die Fische hervor und schnitt ihnen die Flossen ab. Dann schlitzte er ihnen die Bäuche auf, zog die Eingeweide und inneren Organe heraus und warf sie ins Wasser. Er wusch sich die Hände mit Kies im Bach, und schließlich blickte er auf. Da sah er sie.
    Normalerweise war er hier oben zuverlässig allein, hier kam nie jemand vorbei. Der Platz lag weitab von allen Wanderwegen, und es wuchsen hier nicht einmal Pilze.
    Aber da stand ein Mädchen.
    Sie machte nicht gerade den Eindruck, als fühlte sie sich wohl. Giovanni schätzte sie etwa so alt, wie er selber war. Gekleidet war sie städtisch, ungeeignet für Bergwanderungen; sie hatte sogar eine Handtasche dabei. Unter dem Blick dieser bohrenden Augen wurde Giovanni verlegen. Er stand auf und wischte sich die Hände an der Hose ab.
    »Wo kommst du denn her?«, fragte er.

6
Die Familie Canova
    Wokomstudenher .
    Natalia hörte ihn reden und verstand nichts. Erst allmählich zerteilte sich die Schlange der Laute in einzelne Wörter.
    Wo kommst du denn her .
    Das war eine Frage.
    Wo kommst du denn her?
    Natalia gab keine Antwort. Sie sah den Jungen mit der Anglerjacke an und war drauf und dran, die Flucht zu ergreifen. Aber er lächelte nett.
    »Haben sie dir die Zunge abgeschnitten?«, fragte er.
    Natalia überlegte, was sie tun sollte, wenn er auch nur einen Schritt näher kam. Panik überkam sie, und sie drehte sich um und wollte fort. Er aber rief: »Warte, wo willst du denn hin?«
    Er stellte ständig Fragen, dieser Junge. Natalia hielt inne; sie drehte sich wieder zu ihm um. Er lächelte immer noch. Er streckte ihr eine Hand hin.
    »Giovanni.«
    Das war offenbar sein Name. Natalia betrachtete seine ausgestreckte Hand und schüttelte den Kopf. Er nickte und zog seine

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