Elidar (German Edition)
hatte nur seinen weiteren Verfall gestoppt. Sie musste ihn bald wieder aufsuchen und herausfinden, wie sie ihm helfen konnte.
Etwas Schweres lag wie ein Stein auf ihrer Brust und erschwerte ihr das Atmen. Sie griff unwillkürlich danach und biss sich auf die Lippen, um nicht aufzuschreien. Es war glühend heiß - nein es war kalt, so kalt, dass es an ihrer Brust kleben blieb und dabei etwas von ihrer Haut abriss. Sie hob das Etwas vor ihr Gesicht und sah, dass es der Silberdrache war. Er war eisig beschlagen und dampfte vor Kälte, und er war so schwer, dass sie ihn kaum halten konnte.
Aber noch während sie ihn ansah, verschwand das Eis, und er fühlte sich wieder ganz normal an.
»Morgenblüte«, sagte sie und richtete sich auf. Sie musste die Prinzessin besuchen. Elidar wusste nicht, woher dieser Gedanke kam, aber sie ahnte, dass es bald sein musste.
Das war ohnehin eine gute Idee, weil Morgenblüte ihr vielleicht einen Rat geben konnte, was sie mit Bär und Magnifizenz Sturm anfangen sollte. Die Situation war so verästelt wie ein alter Baum, aber Morgenblüte hatte einen scharfen Verstand, und wenn es hart auf hart kam, den treuen Sao-Tan an ihrer Seite.
Elidar lächelte, als sie an die Prinzessin und ihren Leibwächter dachte. Von neuer Kraft beseelt, sprang sie auf die Füße und richtete ihren Habit. Warum warten? Sie konnte jetzt gleich zum Palatium gehen, Sie war schon lange nicht mehr dort gewesen. Morgenblüte würde sich über ihren Besuch freuen.
Elidar hatte das Ordenshaus schon lange nicht mehr verlassen. Sie genoss es, kräftig auszuschreiten und dabei ihre Gedanken wandern zu lassen. Erst, als der Hügel hinter ihr lag, der den letzten Teil des Weges ins Zentrum der Stadt markierte, fiel ihr auf, dass die Menschen, denen sie begegnete, sich anders verhielten als gewöhnlich.
Die Magierorden waren gefürchtet in Cathreta, deshalb wagte kein Bürger, die Novizen der Orden offen anzupöbeln. Ihnen war bei ihren Ausflügen jedenfalls keine besondere Aufmerksamkeit zuteil geworden, wenn man von gelegentlichen rüden Bemerkungen und unfreundlichem Gemurmel hinter ihrem Rücken absah, das sie jedoch zu ignorieren gelernt hatte.
Aber jetzt wies ihr Habit sie als vollgültigen Magister aus. Sie hatte wie gewöhnlich die Kapuze tief in die Stirn gezogen, um sich der Blicke zu erwehren, und bemerkte deshalb nicht gleich, dass jeder, der ihren Weg kreuzte, einen respektvollen Bogen um sie schlug. Manch einer, der ihr entgegenkam, wechselte sogar die Straßenseite oder sprang in einen Hauseingang. Es war, als hätte sie die eitrige Beulenfäule. Bei dem Gedanken musste sie schmunzeln. Vielleicht sollte sie eine Klapper benutzen, wie sie die Beulenkranken in Yasaim immer bei sich tragen mussten.
Der Lakai, der ihr die kleine Tür im hinteren Tor öffnete, erbleichte, als er ihrer ansichtig wurde. »Ehrenwerter Magister«, sagte er und verbeugte sich tief. »Ihr habt euch im Eingang geirrt. Dies ist das Dienstbotentor. Darf ich Euch zum Trakt der Herrschaften geleiten?«
Elidar nickte stumm und folgte dem Lakaien durch die bekannten Gänge. Das Palatium durfte nicht mit verhülltem Gesicht betreten werden, so sollte wohl ausgeschlossen werden, dass ein Attentäter sich den Zugang erschlich. Elidar spürte die neugierigen Blicke, nachdem sie ihre Kapuze heruntergeschoben hatte, und wahrte eine unnahbare Miene, während sie darüber nachsann, woran die Palastwache wohl einen Meuchelmörder erkennen sollte. An seiner Nase oder am schuldbewussten Blick?
Der Diener sagte etwas zu ihr, aber sie hatte nicht zugehört. Sie sah ihn fragend an, und er wiederholte: »Soll ich Euch seiner Exzellenz melden? Er wartet sicher schon auf Euch?«
Elidar runzelte die Stirn. Von wem, bei allen Teufeln der unteren Höllen, sprach der Mann? Sie kannte keine Exzellenz und hatte auch keine Lust, das zu ändern.
»Nein«, sagte sie. »Nein, ich werde von Ihrer Hoheit erwartet. Prinzessin Morgenblüte«, setzte sie eilig hinzu. Nicht, dass der Mann sie am Ende noch bei Carelja, der ersten Frau des Kurators, ablieferte.
»Oh«, machte der Lakai und verbeugte sich hastig mehrmals. »Ich bitte um Vergebung. Dorthin kann ich Euch nicht geleiten. Ich muss jemanden rufen, der die Befugnis hat, diesen Teil des Palatiums zu betreten. Wenn Ihr so gütig sein wollt, edler Magister, Euch hier eine Weile zu gedulden. Ich eile …« Mit diesen Worten lief der Bedienstete mit wehenden Rockschößen davon.
Elidar sah sich unbehaglich um.
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