Elidar (German Edition)
frei.
Diesen Ort hatte sie erst einmal betreten, und die Erinnerung daran ließ sie schaudern. Sie erwartete Nichts, und sie fand Nichts. Kalt, es ließ ihre Glieder erstarren und fror ihre Gedanken zu Eis. Sie durfte hier nicht verweilen, denn das Nichts würde sie unweigerlich töten. Alles verlangsamte sich, jede Bewegung wurde zu einem Kampf gegen eine Kraft, die mit Leichtigkeit eine ganze Welt zermalmen konnte. Elidar zögerte, obwohl sie wusste, dass jedes Zaudern ihr und damit auch Sturm den Tod bringen würde. Sie musste sich in das kalte, todbringende Zentrum der Drachenmagie wagen, um das Leben für sie beide zu gewinnen, aber die Angst vor dem grauen Nichts hatte sie gepackt und lähmte sie beinahe noch mehr als die tödliche Kälte. Eis kroch durch ihren Geist und ließ ihn erstarren. Es war so einfach, hier an dieser Stelle stehen zu bleiben und Nichts zu tun. Nichts geschehen zu lassen. Nichts …
Dann plötzlich leckte eine kleine Flamme wie ein verspieltes Schoßhündchen an ihren Fingern, biss zärtlich hinein, zerrte an ihr, biss ein wenig fester … Elidar japste und schüttelte sich. Die Zeit drängte. Sie schob alle Bedenken, alle Furcht beiseite und ließ sich ins Nichts fallen wie vorher in das Feuer. Graue Kälte schloss sich um sie und raubte ihr den Atem und alle Wahrnehmung. Eine unermessliche Zeitspanne schwebte sie im Nichts, ohne Atem, ohne etwas zu spüren und ohne jeden Willen. Frieden. Ruhe. Im Schoß des Nichts schlafen und niemals mehr aufwachen.
Aufwachen. Sie zog die ersterbenden Reste des Drachenfeuers um sich wie einen löchrigen Mantel und zwang ihre widerstrebende Hand, sich auszustrecken und das Nichts zu greifen. Zu umschließen. Mit erfrierenden, steifen, leichengrauen Fingern zu einer festen, weltenschweren Kugel zu formen und dann diese Kugel tief in ihr Inneres zu schieben, wo das Feuer wartete, um sie aufzunehmen. Einen Moment lang schwindelte ihr. Sie war dort in ihrem Inneren, sie hatte das Feuer durchquert und Nichts gefunden. Und in diesem Nichts wiederum war sie selbst, und tief in ihrer Mitte loderte das Drachenfeuer, in dem der eisige Kern aus Nichts geborgen lag … Schale um Schale, unendlich oft umeinander geschichtet.Sie riss sich los, stieß sich empor wie eine Taucherin, die nach Luft giert, schob sich ins Licht, in die Wirklichkeit.
Sie fand sich halb über dem ausgezehrten Körper des alten Magus liegend, nach Luft ringend wie eine Ertrinkende und gleichzeitig voller Angst, zu spät gekommen zu sein. Da war keine Lebensregung, nur kalte, tote Stille. Der Kokon aus Feuer war vergangen, nur seine erkalteten Reste hingen wie zerrissene Spinnweben von Sturms Körper herab. Sie neigte sich erschreckt über sein Gesicht und spürte nach langem, ängstlichem Warten den kaum wahrnehmbaren Hauch seines Atems. Er lebte noch, aber sie durfte nicht länger zaudern.
Um ihre schwindenden Kräfte zu schonen, richtete sie sich nicht auf, sondern blieb auf ihre Ellbogen gestützt. Sie schloss die Augen und wappnete sich dagegen, erneut dem widerlichen Knoten aus Gift und Tod zu begegnen. Der Gedanke allein ließ sie vor Ekel und Widerwillen zurückschrecken. Entschlossen stieß sie ihre Geistfinger in den siechen Körper und tastete nach dem Übel. Sie fand es, pulsierend vor Kraft inmitten des zerfallenden Körpers, von dem es sich nährte wie ein bösartiger Egel. Elidar überwand sich und packte den grünschillernden Knoten. Er wand sich in ihren Fingern wie ein lebendiges Wesen, und sie spürte, wie sein Schleim sich in ihre Hand fraß und sie zu zersetzen begann. Sie ließ ihn nicht fallen. Mit einer letzten Anstrengung schob sie die Kugel aus Nichts tief in den sich wehrenden Knoten und umschloss ihn dann fest mit ihrer Faust. Sie spürte sein heftiges Zucken, seinen vergeblichen Versuch, das fremde Ding wieder loszuwerden. Seine giftigen Ausscheidungen fraßen sich durch ihre Finger, und sie sah das kranke grüne Leuchten durch ihr Geistfleisch hindurch immer heller und giftiger strahlen. Sie würde ihn nicht halten können, wenn er ihre Hand zerfraß. Was würde geschehen, wenn der giftige Knoten sich das Nichts unbeschadet einverleibte? Würde er dann umso stärker werden und sie und Sturm beide vernichten?
Sie vertrieb den Gedanken und konzentrierte sich darauf, Drachenfeuer in ihre zerfallende Hand zu schicken. Das Feuer stärkte ihren Griff für einen kurzen Augenblick, ehe es erlosch, aber dieser Moment hatte ausgereicht. Sie fühlte, wie die
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