Elidar (German Edition)
einen der Tische, mit einem Mal so müde, dass sie kaum noch die Augen offen halten konnte. Die letzten Stunden waren hinter einem Nebel aus fremdartigen Empfindungen, Gerüchen und Geräuschen verborgen. Was riss sie nur immer wieder aus dieser Wirklichkeit und entführte sie auf ein fremdes, unheimliches Gebiet? Ihre Lider sanken hinab und sie lauschte nach innen. Stille. Und es war immer noch kalt, so kalt.
Das Kratzen der Feder verstummte. Sie hörte, wie Sand über die Seite rieselte und fortgepustet wurde. Dann schlug das Buch mit einem dumpfen Knall zu. »So, das hätten wir«, sagte Sturm, und es klang gleichzeitig befriedigt und enttäuscht.
Er faltete die Hände auf dem Folianten. »Der Rat hat entschieden. Bär wird in Rigor versetzt und bleibt dort, bis der Rat anders entscheidet. Also voraussichtlich nie, jedenfalls nicht, solange sich die Zusammensetzung des Rates und sein Vorsitz nicht ändern.«
Elidar fröstelte. Der alte Magier hob die Brauen. »Ist dir etwa kalt? Du trägst die Winterwolle.« Er wischte sich einen Schweißtropfen von der Stirn und fuhr fort: »Was dich betrifft, habe ich dem Rat mitgeteilt, dass du um deine Entlassung aus dem Orden gebeten hast, weil es dich zurück in deine Heimat zieht. Deinem Gesuch wurde mit großem Bedauern stattgegeben. Du kannst gehen.«
Elidar wahrte eine eiserne Miene. Sie nickte knapp.
»Um deiner Verdienste Willen gewährt der Rat dir ein einmaliges Handgeld«, sagte Sturm. »Die Höhe liegt in meinem Ermessen - und ich werde mich großzügig zeigen, das verspreche ich dir.«
Wieder nickte Elidar nur. Sturm wartete, ob sie etwas sagen oder einen Dank äußern würde, fuhr aber nach einem missbilligenden Räuspern fort: »Dann wäre das also besprochen. Nun komme ich noch zu dem, weswegen ich dich gerufen habe.«
Er stand auf und bedeutete Elidar, ihm zu folgen. Während er auf eine unauffällige Tür am hinteren Ende des Saales zuging, fuhr er fort: »Der Rat hat entschieden, dass du als derjenige, der den heimtückischen Anschlag aufgedeckt und den Attentäter unschädlich gemacht hast, den letzten Schlüssel zum Rigor sprechen sollst. Das ist eine große Auszeichnung.« Er verzog ein wenig das Gesicht, offenbar billigte er den Entschluss des Rates nicht. Eine Frau, dachte Elidar, eine Frau erhält diese Auszeichnung, das muss furchtbar für ihn sein. Sie hätte beinahe gelächelt, aber der Anlass war zu bitter.
»Ich würde gerne darauf verzichten«, sagte sie.
Sturm öffnete die Tür und ließ ihr den Vortritt. »Das geht nicht », sagte er. »Ich werde den Rigor vollenden, aber du musst den Anfang machen. Sieh es als einen letzten Dienst an, den du deinem Freund Bär erweist.«
Elidar fröstelte wieder, aber dieses Mal war es nicht die Kälte, die sie schaudern machte.
Der kurze Gang, den sie betraten, endete an einer Türöffnung, die mit einem Bannzauber belegt war. Sturm löste ihn mit einer schnellen Handbewegung und schob Elidar hindurch.
Das düstere Gelass ließ ihre Knochen vor Kälte schmerzen. Sturm ließ mit einer weiteren Handbewegung ein Licht aufglimmen. Jetzt sah sie, dass auf einer hölzernen Trage eine menschliche Gestalt lag, den Kopf und die mächtigen Glieder mit einem dünnen Tuch bedeckt.
»Bär?«, fragte sie, und statt der erwarteten Bestätigung Sturms erschreckte sie das heiser gehauchte »Ja« des verhüllten Mannes. Er war nicht mit einem Bann belegt, sondern wach und ganz und gar bei Bewusstsein.
»Bär«, wiederholte sie hilflos. Sie näherte sich der Trage, und er wandte ihr das Gesicht zu.
»Da naht mein Schicksal«, flüsterte er heiser. »Du hast mich übel zugerichtet, Tigerkatze.« Seine Hand bewegte sich unter dem Laken. »Und zu Tode erschreckt«, setzte er hinzu. Er lachte und hustete gleichzeitig, es klang schrecklich.
»Meine Innereien sind verbrannt«, krächzte er und hustete wieder. Das dünne Tuch blähte sich über seinem Mund und legte sich dann wieder über sein Gesicht. Elidar erahnte seine Gesichtszüge darunter. Sie sah, dass das Tuch fleckig und feucht war, die Flecken waren rötlich gefärbt.
»Es tut mir Leid«, hörte sie sich sagen. »Es tut mir schrecklich Leid, Nicodemus.«
Seine Hand bewegte sich wieder. Sie schob ihre Hand zu seinen tastenden Fingern. Sie wagte nicht, ihn zu berühren, weil sie seinem verbrannten Fleisch nicht zusätzlich Schmerzen bereiten wollte.
Bär ergriff ihre Hand und drückte sie schwach. »Es ist gut«, flüsterte er. »Das ist das Spiel. Manchmal
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