Elina Wiik - 02 - Sing wie ein Vogel
Das ist alles ein bisschen anstrengend. Ich bin doch nur eine gewöhnliche Polizistin.«
»Seit neuestem doch wohl Kriminalinspektorin«, entgegnete Maria Wiik. »Es ist wunderbar, dass du so viel Erfolg hast! Aber die Sache mit Åkesson ist schrecklich.«
»Ich bin tatsächlich auch ein wenig aus Dienstgründen hier. Ich möchte dich über deine Partei ausfragen, Papa.«
Nach dem Kaffee und dem Apfelkuchen am gusseisernen Gartentisch kümmerte sich die Mutter um den Abwasch. Elina und ihr Vater blieben sitzen.
»Nun, was möchtest du wissen?«
»Ich möchte wissen, was einen Menschen wie Wiljam Åkesson angetrieben hat. Wie es kam, dass er eine so starke Position in einer Kommune wie Västerås einnehmen konnte. Und wie die Leute um ihn herum auf seine Macht reagierten.«
»Das sind schwierige Fragen. Als ich jung war und in die Partei eintrat, wollte ich die Gesellschaft verändern und sie gerechter machen. Ich nehme an, Åkesson hat genauso gedacht. Er war doch auch ein Arbeiterjunge, oder?«
»Ja.«
»Wir hatten eine Aufgabe im Leben. Und die Partei wurde unser Zuhause. Wir haben uns getroffen, wir verstanden einander. Wir gehörten zur selben Kaste, falls du den tieferen Sinn des Wortes verstehst.«
Botwid Wiik legte den Arm um seine Tochter.
»Du fragst wie ein Mann bei uns in eine Spitzenposition gelangt? Ich bin so alt, dass ich es schon viele Male erlebt habe. In allererster Linie muss man den richtigen Hintergrund haben und immer loyal gegenüber der Partei sein. Dann gehört man zu einer höheren Schicht innerhalb derselben Kaste.«
»Einer Art Oberkaste?«
Er lachte.
»Da war Åkesson nicht allein. In Västerås muss es ein Dutzend Parteigenossen aus derselben Generation geben, die wie Åkesson sind. Loyal, aus dem Arbeitermilieu stammend und in eine Partei hineingeboren, oder wenigstens schon seit jungen Jahren dabei. Was später den Ausschlag für die Tragweite des Einflusses gibt. Åkesson hat es geschafft, sich aus den Schwächeren seiner Schicht eine Machtbasis aufzubauen.«
»Aus den Schwächeren, wie meinst du das?«
»Das ist wie in allen Organisationen. Nur einer kann an die Spitze gelangen. Die anderen bestimmen, wen sie unterstützen. Wenn sie sich richtig entscheiden, werden sie mit nach oben gezogen, in höhere Positionen. All das trat immer stärker in den Vordergrund, je mehr sich Politik und Gewerkschaftsarbeit von ideeller Arbeit entfernten und zu einem Beruf wurden.«
Er ließ Elina los.
»Und natürlich war Åkesson ein verdammt geschickter Kerl. Man muss natürlich auch gut sein, um so weit zu kommen.«
»Dieser Lebensstil, von dem du erzählt hast, die Partei über allem. Wie wirkt sich das aufs Familienleben aus? Wird es davon beeinflusst?«
»Nur insofern, als dass man der Politik viel Zeit widmet. Sonst sind wir Sozialdemokraten vermutlich nicht anders als andere Ehemänner und Eltern. Bestenfalls gibt man seine Vorstellung von Solidarität an seine Kinder weiter. Und das ist mir doch ganz gut gelungen, oder?«
»Klar, Papa. Aber Åkesson hat sich scheiden lassen und hat seine Töchter bis zu seinem Tod beherrscht.«
»Das hatte wohl mit seiner Persönlichkeit zu tun. Im privaten wie im öffentlichen Leben war er vermutlich gleich.«
»Und Feinde?«
»Ich weiß von keinen. Natürlich hatte er politische Gegner, innerhalb und außerhalb der Partei; etwas anderes wäre auch schwer vorstellbar. Aber einen Feind muss er wohl doch gehabt haben. Sonst wäre der Mann ja heute noch am Leben.«
»Im ersten Halbjahr 1962 war er in Luleå, als Ombudsmann der Jusos. Damals hast du doch auch dort gelebt.«
»Stimmt, aber an ihn erinnere ich mich nicht mehr. Wollen wir zu Mama hineingehen? Sie möchte sicher auch noch ein bisschen mit dir reden.«
Botwid Wiik drehte sich um und ging aufs Haus zu. Elina schaute ihm nach.
»Papa?«, sagte sie.
»Komm jetzt«, sagte er. »Mama wartet.«
Für den Rest des Vormittags redeten sie von etwas anderem. Elinas Mutter wollte alles wissen, was in der letzten Zeit passiert war, und fragte auch nach Susannes Tochter Emilie. Elina war klar, dass die Fragen nach Emilie eigentlich ihrer Sehnsucht nach einem eigenen Enkelkind entsprangen. Bevor sie ging, versprach sie wiederzukommen, sobald die Arbeit es erlaubte.
Als Elina auf die E 4 einbog, beschloss sie spontan, statt direkt nach Västerås zurückzukehren, in die Stadt zu fahren. Es war Sonntag und passables Wetter, sie konnte sich ein paar freie Stunden gönnen. Einen
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