Elina Wiik - 02 - Sing wie ein Vogel
wir brauchen, um einen Mordfall zu lösen. Wenn er das als Drohung aufgefasst hat, dann soll es mir recht sein. Das war nämlich beabsichtigt, um ihn ein bisschen unter Druck zu setzen.«
»Und warum, wenn ich fragen darf, trittst du so unkollegial auf?«
»Weil er ein Arschloch ist, das Manieren lernen sollte.«
Kärnlund trommelte mit den Fingern auf den Tisch. Dann brach er in Gelächter aus.
»Das ist ja ein Ding, so was hab ich noch nie gehört«, prustete er. »Gut gemacht. Besser, als den Leuten die Finger zu brechen.«
Elinas Miene verdüsterte sich bei dieser Anspielung, aber Kärnlunds Laune besserte sich.
»Ich habe ja die Antwort des Polizeidirektors auf mein Schreiben gelesen«, sagte er. »Da hatte ich selber Lust, ihn in seinen … Arsch zu treten. Aber das ist jetzt nicht mehr nötig.«
Elina verzog den Mund.
»Ich habe trotzdem einiges herausbekommen«, erklärte sie. »Möchtest du es hören?«
»Schreib lieber einen Bericht darüber. Ich muss in einer Minute weg.«
Elina stand auf und ging zur Tür.
»Wiik«, sagte Kärnlund, »deine Situation erfordert etwas Zurückhaltung. Dir ist ja wohl klar, dass dieses Benehmen nicht gerade empfehlenswert ist?«
»Werde mich in Zukunft bessern«, versprach sie und zeigte auf einen Punkt an ihrer Stirn.
»Da hat die Warze gesessen.«
Das Haus, in dem John Rosén wohnte, war 1917 erbaut worden und ursprünglich für die Arbeiter des Minenwerks von Asea bestimmt gewesen. Jetzt aber lebten dort gut situierte Stadtbewohner. Entworfen hatte es Erik Hahr, dessen Bauwerke die wachsende Proletarierstadt prägten. Zwei Stockwerke plus Dachwohnung. Stilechte Fenster, architektisch verputzte Fassaden. Ein großer Hof, auf dem man sich in den Pausen erholen konnte. Doch das Haus wurde von dem gigantischen Schatten der Werkhalle verdunkelt. Keiner, der hier wohnte, würde jemals vergessen können, wo die Macht über die Menschen ihren Sitz hatte.
»Komm rein«, sagte Rosén.
Er führte sie in den Flur und half ihr aus der Jacke.
»Behalt deine Schuhe an.«
Sie betrat das Wohnzimmer, in dem jedes Ding am rechten Platz zu stehen schien. Eine Seite wurde von einem alten Schrank mit bemalten Türen beherrscht. Die Sofas waren mit einem hübsch gemusterten Stoff in gedeckten Farben bezogen. Der Couchtisch war vermutlich neu, jedoch älteren Designs. An den Wänden hingen Gemälde von einsamem Landschaften.
Elina fiel auf, wie sauber es war. Hier würde man vergeblich nach einem Staubkörnchen suchen.
»Wie schön du es hast«, sagte sie, das Einzige, was ihr einfiel.
»Es ist eine Dreizimmerwohnung. Eigentlich müssten mir zwei Zimmer reichen, aber ich hab es gern, wenn ich mich richtig bewegen kann.«
»Du wohnst hier also allein?«, fragte Elina geradeheraus.
»Ja. Ich bin geschieden. Ich habe zwei fast erwachsene Söhne. Sie leben bei ihrer Mutter und deren neuem Mann in Norrköping.«
»Hast du Kontakt zu ihnen? Zu den Söhnen?«
»Ja, schon.«
Elina wusste nicht, ob sie weiter nach seinem Privatleben fragen konnte.
»Darf ich mich ein bisschen umgucken?«, fragte sie stattdessen.
»Bitte sehr!«
Sie spähte ins Schlafzimmer, wo ein Doppelbett mit einer erdfarbenen Patchworkdecke stand. Die Küche sah gemütlich aus.
»Ist es bei dir immer so ordentlich?«
»Ja, das ist bei uns so üblich.«
Heißt das, bei seiner Exfrau und ihm?, fragte sich Elina.
»Ich meine bei uns Reisenden.«
»Erzähl mir mehr davon, John, falls wir Zeit haben.«
Sie kehrten ins Wohnzimmer zurück und setzten sich auf die Couch.
»Die Reisenden, das waren ehemalige Söldner, Strafgefangene und Menschen, die niedere Arbeiten verrichteten. Sie waren von der bäuerlichen Gesellschaft ausgestoßen und lebten am Rande der Dörfer oder auf den Landstraßen.
Wir wurden gezwungen, uns unseren Lebensunterhalt als Handelsvertreter oder Reisende zu verdienen. Wir waren Kastenlose, die keinem der vier Stände, weder dem Adel noch der Geistlichheit, weder dem Bürgertum noch der Landbevölkerung angehörten. Es war genau wie in Indien. Vier Hauptkasten und dann die Verachteten, die Kastenlosen. Schweden ist da gar nicht so viel anders.«
»Kastenlose? Stell dir vor, mein Vater hat von Kasten gesprochen, als er erzählte, dass gewisse Sozialdemokraten für feiner gehalten wurden als andere.«
John Rosén schwieg eine Weile.
»Dein Vater«, sagte er dann, »Botwid, ja?«
Elina sah ihn mit gerunzelter Stirn an.
»Woher kennst du seinen Vornamen?«
»Lass mich
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