Elina Wiik - 03 - Der tote Winkel
sie.
Sie hatte diesen Gedanken kaum zu Ende gedacht, da klingelte ihr Telefon.
»Mein Name ist Mohammed Hussein.«
Dann wurde es am anderen Ende still.
»Ja?«, sagte Elina. »Womit kann ich Ihnen helfen?«
»Ich Nachbar von … Sie wissen schon.«
Er sprach sehr gebrochenes Schwedisch. Es fiel Elina schwer zu verstehen, was er sagte. Vor allen Dingen verstand sie nicht, was er meinte. Es klang, als hätte er einen Satz eingeübt, aber als wäre es ihm nicht gelungen, ihn richtig auszusprechen.
»Haben Sie Nachbar gesagt? Der Nachbar von wem?«
»Er, Jamal.«
Sie wurde hellwach.
»Wohnen Sie in der Stigbergsgatan?«
»Ja. Klar.«
»Sie wollen mir etwas erzählen. Ist das so?«
»Ja. Erzählen.«
»Mohammed Hussein, das war doch Ihr Name?«
»Ja.«
Sie schrieb seinen Namen auf.
»Wohnen Sie im selben Haus wie Jamal?«
»Ja.«
»Sind Sie jetzt zu Hause?«
»Ja.«
Sie warf einen Blick auf das Display und schrieb die Nummer auf dasselbe Papier wie den Namen.
»Welche Sprache sprechen Sie?«
»Arabisch. Irak.«
»Ich komme sofort zu Ihnen, wenn ich einen Dolmetscher gefunden habe. Okay?«
»Okay.«
»Warten Sie in Ihrer Wohnung auf mich. Gehen Sie nirgendwohin.«
»Nein.«
Elina brauchte vierzig Minuten, um eine Dolmetscherin aufzutreiben, die direkt in die Stigbergsgatan kommen konnte. Sie gab ihr die Adresse und bat sie, vor dem Haus zu warten. Ehe sie sich auf den Weg machte, suchte sie noch die Vernehmungen der Nachbarn heraus. Sie selbst hatte sie zusammen mit Svalberg durchgeführt. Sie hatten mit allen gesprochen außer mit Mohammed Hussein, der in der Wohnung unter Jamal wohnte. Sie hatte zweimal bei ihm geklingelt, und Svalberg war einmal bei ihm gewesen. Den letzten Versuch hatten sie zwei Wochen nach den Morden an Jamal und Annika unternommen. Sie hatten ihm Visitenkarten in den Briefkasten geworfen, die offenbar erst jetzt ein Resultat zeitigten. Sie fragte sich, wieso.
Sie suchte Mohammed Hussein im Melderegister. Er hatte erst am 23. November, also erst vor gut einer Woche, eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten.
Vielleicht hat er sich vorher nicht getraut, mit uns zu sprechen, dachte sie. Wir haben unser Land so organisiert, dass gewisse Menschen Angst vor dem Arm des Gesetzes haben.
Sie schickte Rosén eine E-Mail, um ihm zu sagen, wohin sie unterwegs war. Dann nahm sie ihren eigenen Wagen. Für das Ausfüllen eines Dienstwagenformulars fehlte ihr die Zeit. Außerdem hatte sie sich von John anstecken lassen: Dieser fuhr am liebsten in seinem eigenen Wagen.
Die Dolmetscherin stellte sich als Mira vor. Sie schien Mitte zwanzig zu sein und sprach Schwedisch, als stamme sie aus Västerås. Elina konnte es nicht lassen. Sie musste auf ihr langes braunschwarzes Haar starren, als sie hinter ihr die Treppe hinauf ging.
Mohammed Hussein öffnete langsam die Tür. Elina fand, dass er verschreckt wirkte oder zumindest unsicher. Sie entschied sich, mit der Frage, warum er sich nicht bereits früher gemeldet habe, noch zu warten, damit er sich nicht angeklagt fühlen würde. Es war besser, mit seiner Zeugenaussage zu beginnen.
Die Dolmetscherin stellte sich vor und erklärte auf Arabisch und Schwedisch, dass sie genau übersetzen würde, was er sagte, und zwar wörtlich, ohne den Versuch zu unternehmen, das Gesagte zu deuten.
Profi, dachte Elina. Die muss ich mir merken. Festplatte.
Sie zog einen Notizblock aus der Tasche, und Hussein deutete ins Zimmer. Es war ebenso spartanisch wie die Wohnung von Jamal. Die Möbel in dem einzigen Zimmer beschränkten sich auf ein Bett und einen durchgesessenen Sessel, dazwischen ein kleiner Couchtisch. Hussein setzte sich auf das Bett und Mira neben ihn. Elina nahm auf dem Sessel Platz. Sie legte den Block auf den Tisch.
»Erzählen Sie«, sagte Elina. »Was wissen Sie über Jamal?«
Mohammed Hussein rutschte verlegen hin und her. Dann sah er der Dolmetscherin in die Augen und begann zu sprechen. Mira ließ ihn ungefähr fünf Sätze sagen, dann hob sie die Hand, um ihn zu unterbrechen.
»Er sagt Folgendes: Ich weiß, dass Jamal an einem Sonntag ermordet wurde. Ich erinnere mich nicht an das Datum, aber das wissen Sie vermutlich. In der Nacht lag ich in meinem Bett. Es war an diesem Sonntag, das weiß ich sicher.«
Sie machte mit dem Zeigefinger eine kreisende Bewegung, um ihm zu bedeuten fortzufahren. Dann dolmetschte sie weiter.
»Ich konnte nicht schlafen, weil ich mir Sorgen um die Zukunft machte. Mitten in der Nacht hörte ich, dass jemand
Weitere Kostenlose Bücher