Elizabeth II.: Das Leben der Queen
wäre schockiert, so argumentierte sie gegenüber den Bedenkenträgern, wenn ein Nikita Chruschtschow seine geplante Reise anträte, sie, der Kopf des Commonwealth, aber nicht die ihre. Die Regierung sollte sich nicht die Blöße geben, in dieser Frage Mangel an Rückgrat zu demonstrieren. Die Monarchin nahm damit ihr verfassungsmäßiges Recht in Anspruch, selbst Wünsche an ihre Regierung, an «Her Majesty’s Government», heranzutragen. Erfüllen musste man ihr diesen speziellen Wunsch nicht, aber was konnte der Downing Street Besseres passieren, als die Queen bereit zu finden zur Reise in ein Land, das man auf keinen Fall «an die andere Seite verlieren» wollte – an Moskau?
«What a splendid girl!», notierte sich Harold Macmillan im Tagebuch, aus dem er in seinen Memoiren breit zitieren würde. Ihn, den letzten Granden der edwardianischen Ära, des Jahrzehnts nach dem Tod Königin Victorias, beeindruckte die Entschiedenheit seiner Königin vor allem, weil es hier um eine Frage des Commonwealth ging, nicht um ein Problem im Mutterland. Dort, so sinnierte Macmillan, war die Verantwortlichkeit der Monarchie inzwischen so weit geschrumpft, dass man «genauso gut einen Filmstar an die Spitze setzen» könnte; doch nach Accra, während dort Unruhen herrschten, würde eine solche Figur eben nicht reisen. Anders die Queen: «Sie hat in der Tat das Herz und den Mut eines Mannes.» Diese Eintragung greift leicht abwandelnd ein geflügeltes Wort Elizabeths I. auf, mit dem die Generation Macmillansnoch vertraut war. Die große Königin hatte nach der gewonnenen Seeschlacht gegen die spanische Armada ihre führenden Militärs nach Tilbury am Unterlauf der Themse gebeten und sie am 19. August 1588 unter anderem mit diesen Worten angesprochen: «Ich weiß, ich habe nur den Körper einer schwachen, armen Frau, aber ich habe das Herz und den Mut eines Königs, eines Königs von England dazu, und Schmach, so denke ich, soll über Parma oder Spanien oder jeden anderen Prinzen Europas kommen, der es wagt, die Grenzen meines Reiches zu verletzen.»
Auf dem Schachbrett des Ost-West-Konflikts: Elizabeth II. bei ihrem Besuch in Ghana mit Präsident Kwame Nkruma, 1961 (Foto: John Bulmer)
Nicht mehr Englands Grenzen, dafür aber das Commonwealth, so dachte die zweite Elizabeth, stand auf dem Spiel, wenn man aus Ängstlichkeit in einem Land wie Ghana das diplomatische Feld der östlichen Supermacht überließe. Es wurde ein Emissär nach Accra geschickt, das Terrain zu sondieren, und der kam mit der Nachricht zurück, dass man den Staatsbesuch durchaus wagen könne. Er ging erfolgreich über die Bühne, bei ihrer Ankunft wurde Elizabeth in einer örtlichen Zeitung als «der größte sozialistische Monarch auf der Welt» begrüßt, während die britische Presse einfach dem Mut der Königin Beifall spendete. Gleich nach Ende desBesuches ließ Macmillan John F. Kennedy telefonisch wissen: «Ich habe meine Königin aufs Spiel gesetzt, jetzt sind Sie dran mit Ihrem Geld.» Worauf Kennedy prompt reagierte – der Staudamm wurde mit amerikanischem Geld finanziert, und Ghana blieb im Commonwealth.
Von den 60er Jahren ein Sprung in die Thatcher-Ära. In dieser Zeit bietet sich weiteres Anschauungsmaterial für die Beziehungen Elizabeths zu Afrika. Es zeigt sich aber auch ein Konflikt der Monarchin mit der Regierungschefin, und das nicht zuletzt in der Frage Afrika. Für den schwarzen Kontinent hatte Margaret Thatcher wenig übrig, vor allem, weil man allenthalben sah, wie schlecht einige der unabhängig gewordenen Staaten mit ihrer neu gewonnenen Selbstbestimmung umgingen. Wenn überhaupt, so schaute Thatcher auf den Kontinent durch ein realpolitisches Prisma, und da blieb eigentlich als Verbündeter nur Südafrika übrig, als Bollwerk auch gegen ein weiteres kommunistisches Vordringen auf dem schwarzen Kontinent. Symbol dieser Verbindung zu Pretoria waren die britischen Waffenlieferungen an Südafrika, die schon Thatchers Vorgänger Edward Heath bei seinen Commonwealth-Kollegen in Verruf brachten; die Gipfelkonferenz in Singapur im Jahr 1971 zum Beispiel wäre darüber fast auseinandergeflogen, so erhitzt verliefen die Debatten. Es war übrigens ein Treffen, zu dem Heath die Königin nicht hatte anreisen lassen, besorgt wie er war über die zu erwartende vergiftete Atmosphäre. Elizabeth aber ließ später wissen, dass es in ihrer Anwesenheit gesitteter zugegangen wäre – wie wenn die Stammesobere eines zerstrittenen Großclans
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