Elizabeth - Tochter der Rosen
zu stützen.«
Seine Worte schienen mir auf eine befremdliche Weise vertraut und zugleich furchtbar höhnisch. Das Gleiche nämlich hatte Richard über Williams Bruder, Thomas Stanley, gesagt. Ich hob eine Hand an meinen Kopf, um das ängstliche Pochen darin zu beruhigen.
Ja, der Vorwurf war unmöglich zu begreifen, jedoch stand eines fest: Henry war in großer Gefahr. Seine Mutter, die von Richard III . mit Ehren und hohem Rang bedacht worden war, hatte Henry zu Richards Krone geführt, und Stanley, den Henry mit Rang und Ehren belohnt hatte, könnte den Prätendenten zu Henrys Zepter führen. Die bisherigen Verschwörungen waren vereinzelte Unruhen in unterschiedlichen Regionen des Landes gewesen, angefacht von Unzufriedenheit mit Henrys strenger Politik und den hohen Steuern. Zumeist gingen sie von Yorkisten aus, die sich die alten Zeiten zurückwünschten, Henry übel nahmen, wie er mich behandelte, und die weiße Rose wieder aufblühen sehen wollten. Aber sie alle waren kleine Feuer, die sich leicht löschen ließen, indem man einen örtlichen Ritter anklagte. Der Prätendent hatte sich bisher auf Briefe verlassen müssen, die abgefangen werden konnten, und er hatte niemanden gehabt, der für ihn sprach oder ihm half, eine Intrige gegen Henry zu arrangieren, wie es Margaret Beaufort und die Stanleys gegen Richard getan hatten. Nun war alles anders. Der Prätendent hatte einen Stanley für sich gewonnen – einen mächtigen, allgemein angesehenen und dem Thron sehr nahestehenden Mann.
»Bringt ihn in den Tower!«, raunte Henry.
Offenbar hatte Henry das Gleiche gedacht wie ich.
»Mein Sohn, wir wollen nichts übereilen«, mischte sich Margaret Beaufort ein. »Es würde Harrys Zeremonie trüben, und diese Befriedigung wollen wir dem falschen Jungen nicht geben. Lass uns stattdessen so tun, als wüssten wir von dem Verrat nichts, und fröhlich feiern! Wir können Weihnachten im Tower verbringen, wo wir alle Verräter unter einem Dach haben. Am Dreikönigstag nehmen wir sie in Haft. Wir könnten jeden Einzelnen von ihnen fangen, wenn wir sie in Sicherheit wiegen und überraschend zuschlagen.«
Der allzeit vorsichtige Henry bereute seinen hastigen Befehl ohnedies schon und stimmte ihr bereitwillig zu. »Ja, du hast recht, Mutter. Wie immer.«
~
Am Nachmittag des achtundzwanzigsten Oktober 1494 ritt unser kleiner Harry von Eltham Palace nach London. Wie meine Schwiegermutter berichtete, jubelten ihm die Kaufleute, Handwerker, Bauern, Fuhrmänner, Studenten und Lehrlinge begeistert zu, die sich am Straßenrand versammelt hatten, um ihn nach Westminster ziehen zu sehen.
Wir trafen ihn am Tor. Mit seinen rosigen Wangen und hoch auf seinem reich geschmückten Pferd sah er wie ein Engel aus. Er war umgeben von Adligen, in deren Mitte er winzig wirkte, trug eine schwere Goldkette über den Schultern und seine Samtkappe tief über die rotgoldenen Locken gezogen.
Harry wurde zuerst zum Ritter des Hosenbandordens und dann zum Duke of York geschlagen. Nach der Zeremonie folgte ein Turnier, bei dem die teilnehmenden Ritter mein Emblem, die weinroten und blauen Farben von York, an ihren Helmen zeigten. Der Novembertag war ungewöhnlich warm, wie ichfeststellte, als ich mit Henry und umgeben von unseren Kindern unter dem Staatsbaldachin saß. Arthur war nun acht, Margaret fünf, Harry drei und Elizabeth zwei. Mein Blick ruhte bewundernd auf meinem Ältesten. Er hielt sich wie der König, der er eines Tages sein würde. Dann sah ich die anderen an. Sie waren alle hübsche, kluge und aufmerksame Kinder, begeistert von dem Lärm und Trubel um sie herum. Mich erinnerten sie an eine längst vergangene Zeit, als ich in ihrem Alter war und meinem Onkel Anthony Woodville bei dessen Zweikampf im Turnier zuschaute. Damals war die Welt gut gewesen und meine Familie vollständig. Alle waren dort: mein goldener Vater, meine Brüder, meine Schwestern, Edward, Dickon, Mary ...
Jeder hatte uns bewundert. Mein Vater saß jung und stark auf der Bühne, warf uns heitere Blicke zu und sah sich das Turnier an, ohne zu ahnen, was uns oder seiner Dynastie bevorstand. Lauerte dieselbe Gefahr hinter diesem Schauspiel? Warteten hinter den Fanfarenklängen Tod und Tragödie auf ihre Gelegenheit, die Bühne zu betreten? Ich blickte mich zur jubelnden Menge um. Bei aller Ausgelassenheit war ein gewisses Unbehagen zu spüren. Die Leute fürchteten, dass die Rosenkriege noch nicht vorbei waren und es weiteres Blutvergießen geben würde. Henry
Weitere Kostenlose Bücher