Elizabeth - Tochter der Rosen
Jahr gesammelt hatte, an arme Frauen. Eine Woche später brach der Frühling im Land aus. Vögel zwitscherten in den Bäumen und Hecken, und die Erde warf ihr trübes Grau ab, um in zartem Grün zu neuem Leben zu erblühen. Zum Mai hin schmückten wir den Palast mit Weißdornzweigen und sahen den jungen Mädchen bei ihrem Tanz um den vergoldeten Maibaum zu. An den Abenden spielten wir mit Würfeln oder Karten – Trumpf, Strafe oder Wer-gewinnt-verliert. Es war die Turniersaison, und als der Juni nahte, hörte man um ganz Windsor herum Trompetentöne und klirrenden Stahl.
Derweil war Perkin bei uns, frei und doch gefangen, denn unsichtbare Seidenfesseln banden ihn so fest wie Eisenketten. In scheinbarer Freiheit bewegte er sich durch den Westminster Palace, zwei als Diener getarnte Wachen an seiner Seite, und nirgends konnte er dem Spott und der Verachtung entkommen. Beides schlug ihm entgegen, wohin er auch ging.
Eines Morgens in Greenwich, als ich nach dem Frühstück meinem Verwalter die Anweisungen für den Tag gab, blickte ich unauffällig zu Perkin, der mit Catherine Gordon in einer Ecke der großen Halle unterhalb eines hohen Fensters stand. Die Buntglasscheiben waren weit offen, sodass vom Fluss eine kühle Brise hereinwehte, und aus dem Garten unten drangen Lautenklänge und das Plätschern des Springbrunnens herein. Perkin und Catherine Gordon nahmen offenbar nichts von alldem wahr, sondern hatten nur Augen und Ohren füreinander. Dann hob Perkin eine Hand und strich Catherine eine verirrte Locke hinters Ohr. Sie lächelte zu ihm auf.
Sie sind wie Turteltauben in einem goldenen Käfig, ging es mir durch den Kopf. Perkin musste entsetzlich leiden. Er durfte die Frau, die er liebte, sehen und ihre Hand halten, jedoch nicht für sie sorgen, wie es ein Gemahl sollte, oder sie wieder auf die natürliche Weise zu der Seinen machen. Er wusste nicht, was aus ihrem kleinen Sohn geworden war, und bei Hofe belachte man ihn ebenso geringschätzig wie die Narren Dick und Patch oder Henrys Affen. Kinder kicherten und bewarfen ihn mit faulem Obst, bevor sie sich rasch wegdrehten; Diener beäugten ihn abfällig und spuckten ihm nach, wenn er an ihnen vorbeiging. Und er ertrug all diese Erniedrigung mit Würde.
Catherine Gordon blieb ihrem Gemahl trotz Henrys hartnäckiger Bemühungen um sie treu. Henry hatte ihr abermals angeboten, die Scheidung zu veranlassen, doch sie lehnte ab und sagte, Perkin werde auf immer ihr Herz gehören. Henry hattesich einen Reitumhang aus braunem Samt mit schwarzem Satin nähen lassen und schickte ihr ein passendes Gewand mit einem leichten Kleid aus schwarzem Kammgarn und Bändern als Gürtel. Er schenkte ihr sogar weiße Strümpfe, was als eine überaus intime Gabe galt. Catherine Gordon wies seine Geschenke mit dem freundlichen Hinweis zurück, dass sie fortan in Trauer bleiben wollte. Unausgesprochen, wenn auch für jedermann offenkundig blieb, dass sie keinen anderen als ihren Gemahl wollte, den Gefangenen mithin einem König vorzog.
Mich suchten erneut schmerzliche Erinnerungen heim. Ich entsann mich der Tage meiner Jugend, jener Zeit der Hoffnungen, Träume und Dunkelheit, voller Sehnsucht nach dem, was ich unmöglich haben konnte und lieber niemals erwähnen sollte.
Ich schrak zusammen, als ich bemerkte, dass mein Verwalter mich ansprach. »Was haben Sie gesagt?«, fragte ich ihn, denn die Diener machten solchen Lärm beim Umräumen, und einer hatte eben einen aufgebockten Tisch umgeworfen, den er hatte beiseitestellen wollen.
»Wollt Ihr nach dem Mittagessen bis zur None Bittsteller empfangen, meine Königin, oder sind drei Stunden zu ermüdend?«
»Vielen Dank für Ihre Sorge, doch ich schaffe es heute schon«, antwortete ich lächelnd und fügte hinzu: »Würden Sie bitte Doktor de Puebla bitten, zu mir zu kommen?«
Er zog sich mit einer Verneigung zurück, und ich trat ans Fenster. Solange ich auf de Puebla wartete, beobachtete ich heimlich Perkin und Catherine Gordon am anderen Ende der Halle und dachte über meine Unterhaltung mit Kate am vorherigen Morgen nach.
»Henry ist in sie verliebt«, hatte Kate gesagt. »Das sieht jeder. Er guckt ihr immerzu mit diesem sehnsüchtigen Blick nach.«
»Er hat Bernard Andre beauftragt, über ihre erste Begegnung zu schreiben«, hatte ich entgegnet. »In Andres Version ist Henry der mächtige und mitfühlende König, der eine dankbare edle Maid aus den Klauen eines verlogenen Taugenichtses befreit, von dem sie entführt wurde.
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