Elizabeth - Tochter der Rosen
einen Tränenschleier blickte ich zu dem alten Mann auf.
~
»Du musstest ihn nicht foltern!«, schrie ich Henry an dem Abend an, als ich in meinem Gemach händeringend auf und ab lief. Noch nie war ich so aufgebracht und wütend gewesen, hatte mich niemals so entsetzlich hilflos gefühlt. »Du kannst ihn dazu bringen, alles Erdenkliche zu sagen oder zu tun, indem du androhst, seiner Frau oder seinem Kind Leid zuzufügen!«
»Es war notwendig«, entgegnete Henry ruhig.
Ich blieb stehen und drehte mich zu ihm. »Zu welchem Zweck? Nenn mir einen Grund!«
»Weil die Welt denkt, dass er dein Bruder ist.« Er sah mich mit einem eisigen, durchdringenden Blick an. »Und weil du es gleichfalls denkst, nicht wahr?«
Ich öffnete den Mund, um es abzustreiten, schloss ihn jedoch gleich wieder. Es gab nichts mehr zu sagen.
Oder doch?
Einen weiteren Grund aber gab es noch für solch eine Brutalität, und den erwähnte Henry nicht: Mehr als alles andere wollte er das Gesicht zerstören, das Catherine Gordon liebte. Ich sah ihn wieder an, und ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Auf einmal bekam ich keine Luft mehr. Meine Brust fühlte sich an, als würden meine Rippen bersten. Ein furchtbarer Gedanke regte sich in mir und nahm, genährt von Furcht, die erschreckendsten Proportionen an. Wie ein Schatten schlich er sich immer weiter nach vorn und schwebte über mir.
»Du glaubst es auch, nicht?«, hauchte ich. »Deshalb hast du sein Gesicht zerstört! Bevor du ihn umbringst, muss seine Ähnlichkeit mit meiner Familie vernichtet sein. Erst dann kannst du ihn ermorden!«
Henry sagte nichts. Allerdings funkelten seine Augen für einen winzigen Moment.
Ich wandte mich wieder von ihm ab und sank auf meinen Stuhl. Mir war, als würde ich von einer tiefen Dunkelheit verschlungen. Die Worte meiner Mutter hallten mir durch den Kopf. Henry Tudor weiß, sollte Dickon leben, macht ihn das zum Thronräuber. Benommen hörte ich, wie sich die Schritte meines Gemahls entfernten und die Tür geschlossen wurde. Eine schreckliche Stille hüllte mich ein.
Ich starrte auf die Stelle, an der Henry eben noch gestanden hatte, und ein einziger Gedanke dröhnte in meinen Ohren, meinem Herzen und meiner Seele: Perkin muss sterben, weil er Dickon ist.
~
Es gingen Gerüchte von einer Befreiung, doch der Plan wurde entdeckt, bevor er richtig gereift war. Henry erzählte meiner Tante Margaret und Maximilian, dass er Perkin nicht freiließe, aber ihn vielleicht nicht tötete, falls sie zustimmten, sämtliche Bemühungen einzustellen, ihn als Thronberechtigten durchzusetzen. James IV . von Schottland bot er an, im Austausch gegen einen Waffenstillstand und eine Vermählung mit unserer Tochter Margaret für die Sicherheit und anständige Behandlung Catherine Gordons, James’ Cousine, zu sorgen.
Es traf ein Brief von Tante Margaret an Henry ein, der erste, den sie ihm je geschrieben hatte. Mit höflichen Worten entschuldigte sie sich für ihr Verhalten und versprach, fortankeine Schwierigkeiten mehr zu machen. Maximilian sandte ein gleichlautendes Schreiben. Ich wusste, dass es ihre letzte Hoffnung war, Perkin zu retten, und staunte über ihren festen Glauben an ihn und ihre Bereitschaft, sich Henry gegenüber unterwürfig zu zeigen und um Perkins Leben zu flehen.
War er mein Bruder Dickon?
Er muss mein Bruder sein.
Er muss es sein.
O, heilige Jungfrau, hilf mir, das hinzunehmen, was ist!
Ich fürchtete, dass das Schlimmste noch bevorstand. Henry wollte diese Heirat zwischen England und Spanien unbedingt, weil sie ihn als König legitimierte. Eine solche Allianz bedeutete für ihn, dass er nicht mehr als Thronräuber, sondern als Gründer einer neuen Dynastie angesehen werden würde.
Mit dem Oktober legte sich eine schwere Mutlosigkeit über mich, und wo ich auch hinsah, nahm ich nichts als Finsternis wahr. Ich war wieder guter Hoffnung und konnte nicht umhin, mich zu fragen, wie viele Kinder ich noch gebären sollte, bevor Gott mir erlaubte, mich auszuruhen. Dann kam Weihnachten, und Arthur besuchte uns. In meinen Augen leuchtete er wie die Sonne am Zenit eines hellen Sommertages. Ehe ich mich’s versah, begann das Jahr 1499 mit einem Unwetter, bei dem der Boden unter unseren Füßen bebte. Rasch folgte der Dreikönigstag, und wieder einmal musste ich von meinem Sohn Abschied nehmen. Die Sonne verblasste am Himmel, als ich ihm nachsah.
Im Februar erhielt ich Nachricht, dass Cecilys Gemahl, Viscount Welles, gestorben war. Ich nahm sie
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