Elizabeth - Tochter der Rosen
umgebracht haben?«
»Er starb sehr schnell, und das nach einer Mahlzeit und unter großen Schmerzen. Er ist am Jahrestag von Papas Tod gestorben.« Beim letzten Satz betonte ich jedes einzelne Wort. »Man muss keine Seherin sein, um zu erkennen, was geschehen ist. Was denkst du, warum König Richard alles riskierte, um hinterdie feindlichen Linien zu gelangen und Henry eigenhändig zu töten?«
»Du irrst dich«, beharrte meine Mutter. »Das kann nicht sein. Du bist albern.«
Aber sie klang nicht besonders überzeugt. Sie widersprach mir lediglich, weil sie andernfalls zugeben müsste, wie extrem dumm es gewesen wäre, hätte sie Dickon wirklich Margaret Beaufort anvertraut. Doch dieses Gespräch hatten wir schon unzählige Male geführt, und ich war es leid. Sie war die Einzige, der ich mich anvertrauen konnte, die einzige Freundin, die ich besaß, und dennoch stritten wir immerfort, als wären wir verfeindet. Ich hasste es, sie liebte es. Ich wollte ihre Zuneigung, und sie verachtete mich. Als ich klein gewesen war, hatte sie mich niemals bei der Hand oder in die Arme genommen. Meine beiden Brüder hingegen hatte sie viel geherzt und mit Liebe geradezu überschüttet. Nun war ich erwachsen, und wir konnten nicht einmal friedlich über Dinge sprechen, in denen wir uns einig waren.
»Mutter, ich bitte dich, lass mich in Frieden! Es ist sinnlos, über diese Dinge zu reden, denn wir werden uns nie einigen können.« Ich wandte mich zum Gehen.
Ehe ich das Zimmer verlassen konnte, sagte sie etwas, das ich wohl niemals vergessen und ihr nie würde vergeben können.
»Ich hätte dich verrotten und diesen niederen Ritter heiraten lassen sollen!«
Ich erstarrte und drehte mich um. »Was hast du gesagt?«
»Dieser Ritter. Dieser Niemand. Stafford hieß er, glaube ich.«
Gleichsam betäubt vor Entsetzen, ging ich langsam zu ihr zurück. »Woher weißt du von Thomas? Was hast du getan?«
»Beide Fragen lassen sich mit einem Wort beantworten, meine Liebe: Briefe. Ich ließ sie vernichten.«
»Er hat mir geschrieben? Wann?«
»Als du von Richard und Anne aufgenommen wurdest.«
Mit einem Schrei stürzte ich mich auf sie, die Finger gekrümmt, um ihr das Gesicht zu zerkratzen. »Ich hätte ihn damals heiraten können! Richard hätte mir erlaubt, ihn zu heiraten!«
Meine Mutter packte mich bei den Handgelenken und beugte mich nach hinten, bis ich auf die Knie sank. Der Schmerz strömte mir die Arme hinauf in meine Brust, wo Thomas’ Brosche an meinem schwarzen Samtkleid steckte.
Ein triumphierendes Funkeln lag in Mutters Augen. Sie lächelte eisig und ließ mich los.
Zitternd stand ich wieder auf. »Ich liebte ihn, und du hast mir meine einzige Chance auf Glück geraubt.«
»Glück? Mit einem erbärmlichen Ritter?« Sie starrte mich an und brach in Gelächter aus.
»Hast du nie geliebt?«, schrie ich. »Weißt du überhaupt, was Liebe ist?«
Ihr Lachen erstarb. Ein seltsamer Blick trat in ihre glänzenden Augen, und ich glaubte, das Aufblitzen einer Erinnerung in ihnen wahrzunehmen: Sir John Grey, jung und gut aussehend in seiner Rüstung, den Helm unter dem Arm und das Haar vom Wind zerzaust. Er lächelte gequält, als er sie ein letztes Mal anschaute, bevor er nach Northampton aufbrach, wo er starb. In diesem flüchtigen Moment erkannte ich, dass meine Mutter einst geliebt hatte, leidenschaftlich geliebt, und als sie diese Liebe verloren hatte, war ihr Herz vor lauter Kummer eingegangen, bis nichts als ein Narbenbündel übrig blieb.
Sogleich wurde ihre Miene wieder eiskalt und spöttisch. »Vergiss die Liebe! Sie kommt und geht, wie es ihr gefällt. Wichtig sind die greifbaren Dinge – Macht, Geld, Reichtum. Nimm sie dir und halte sie mit aller Kraft fest, denn nur sie wärmen dich und helfen dir durch die Finsternis.«
Tränen brannten in meinen Augen, als ich den Ärmel meiner Mutter berührte.
~
Am achtundzwanzigsten Januar begingen wir Henrys dreißigsten Geburtstag, und die ganze Burg war von Heiterkeit erfüllt. Nach wie vor schob Henry meine Krönung unter stets neuen Vorwänden auf. Gegenwärtig war es die drohende Rebellion. Jack, Earl of Lincoln, Richards von Henry begnadigter Thronerbe, war im Januar zu Francis Lovell nach Burgund entkommen, und es drang Nachricht nach England, dass Lincoln und Lovell eine Invasion planten. Überdies behaupteten sie, Edward, Earl of Warwick, bei sich zu haben.
Letzteres schien mir höchst verwunderlich. Edward war im Tower gefangen, demnach musste es sich
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