Elke, der Schlingel
Ulf
wohl sagte, wenn sie ihm später alles erzählte!
Gegen zehn Uhr legten Elke und Katje
sich so, wie sie waren, angezogen zum Schlafen nieder. Lohmeyers hatten Elke
versprochen, sie zu wecken, nachdem der Betrieb auf dem Dom aufgehört hatte und
der Italiener mit seiner Donja nach Hause gegangen war. Elke wollte dann wieder
aufstehen und zu den Hunden hinüberschleichen.
Wollte Katje gar nicht mit?
Nein, Katje hatte keinen Mut zu Elkes
Unternehmen. Sie war vor einigen Jahren einmal von einem Kettenhund gebissen
worden und fürchtete sich seitdem ein bißchen vor Hunden. Elke ging auch ebenso
gern allein.
Kurz nach ein Uhr wurde Elke geweckt
und war sofort hellwach. Sie zog ihren Mantel an, steckte eine Taschenlampe
ein, nahm die große Tüte mit Kuchenresten, die Katjes Tante ihr gegeben hatte,
und klemmte sich durch einen schmalen Gang zwischen Bretterwänden hin zu dem
Schlupfloch, das Herr Lohmeyer ihr zeigte. Sie knipste ihre Taschenlampe an und
besah sich, wie hier alles aussah. So groß war das Loch? Da kam man ja ganz
bequem hindurch! Dann machte sie ihre Taschenlampe wieder aus.
„Jetzt bin ich drin“, rief sie ein
paar Augenblicke später.
„Gut“, sagte Herr Lohmeyer und kehrte
ins Innere seiner Kuchenbude zurück. Die Küchentür ließ er unverschlossen,
damit Elke auch wieder hereinkommen konnte. Elke glaubte, daß Katjes Onkel
warten würde, bis sie wieder zurückkam. Erst viel später merkte sie, daß sie
darüber falscher Ansicht gewesen war, aber da machte es nichts mehr aus, denn
die Ereignisse überstürzten sich.
Doch so weit sind wir noch nicht!
Fünftes Kapitel
EINE AUFREGENDE NACHT
Nachdem Elke durch das Loch in der
Holzplanke hindurchgeklettert war, sah sie zunächst die Hand vor den Augen
nicht. Sie wagte aber auch nicht, die Taschenlampe anzuknipsen, vielleicht
kriegten die Hunde einen Schreck durch das grelle Licht und wurden aufgeregt
und böse. Das wollte sie lieber nicht heraufbeschwören.
Ganz hinten an einer Wand hing eine
Stallaterne. Sie brannte, aber ihr trüber Schein erleuchtete kaum mehr als ihre
allernächste Umgebung. Es sah hier alles sehr unheimlich aus, fand Elke, und ihr
sank der Mut. Sollte sie die Hunde lieber doch nicht füttern? Nein, das ging
auch nicht. Sollte Katje sie auslachen? Sie hatte nun einmal gesagt, daß sie es
tun wollte, und da mußte sie es tun. — Elkes Augen gewöhnten sich schnell an
die Dunkelheit. Sie unterschieden jetzt, was nur Schatten waren und was
querlaufende Balken und Latten und Kisten.
Sie erkannte auch eine Plattform,
welche die Bühne sein mußte, auf der die Hunde Theater spielten. Sie ruhte auf
hochbeinigen Gestellen. Neben der Stallaterne befand sich eine schmale
Brettertür, und neben dieser Brettertür stand eine große Kiste mit einem Deckel
drauf. Auch Stühle und einen Tisch unterschied Elke jetzt, und überall standen
große Bilder herum. Ach so — das waren die Kulissen.
Wo aber waren die Hunde? Herr Lohmeyer
hatte doch gesagt, daß sie hier sein müßten.
Elke hatte sich aufgerichtet und tat
einen vorsichtigen kleinen Schritt vorwärts, stieß dabei aber doch mit einem
Fuß an irgendein Brett, so daß ein knackendes Geräusch entstand. Im selben Augenblick
wurde ein dumpfes Knurren und ein leises Geblaff hörbar, dazu ein Klirren von
Ketten.
Elke stand ganz still und lauschte.
Da sah sie, daß aus dem Raum zwischen
der Plattform der Bühne und dem Fußboden grünschillernde Augen ihr
entgegenfunkelten. Es war so unheimlich, daß sie nicht wagte, sich zu rühren.
Die große Tüte mit den Kuchenabfällen hielt sie fest an sich gepreßt.
Abermals überkam sie die Versuchung,
unverrichteterdinge wieder umzukehren.
Sie erkannte jetzt flache Kisten, in
denen die Hunde lagen. Große und kleine, helle und dunkle Hunde. Kleider hatten
sie nicht an. Sie schienen angekettet zu sein, denn es klirrte, wenn sie sich
bewegten. Sollte sie es wagen, näher an die Kisten heranzugehen? Dann konnte
sie das Futter schnell aus der Tüte ausschütten und weglaufen.
Elke fiel ein, was Onkel Bernhard
einmal zu ihr gesagt hatte. „Die Tiere fühlen, wer es gut mit ihnen meint.“
Dann mußten diese Hunde hier doch auch
merken, daß sie ihnen nur etwas Gutes tun wollte!
Oder?
Merkten sie es vielleicht doch nicht?
Sprangen sie vielleicht auf sie zu, um sie zu beißen, wenn sie näher kam?
„Ich bring’ euch was!“ flüsterte Elke
und hielt ihre Kuchentüte mit weitausgestreckten Armen vor sich her.
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