Elke, der Schlingel
„Riecht
mal, wie gut das riecht!“
Die Hunde richteten sich in ihren
Lagerstätten auf und schlugen mit den Schwänzen gegen die Wände ihrer Kisten;
einige begannen sogar, vor Verlangen nach den ihnen entgegenduftenden
Leckerbissen zu jaulen.
Elke zählte acht Hunde.
Du lieber Himmel! Wie sollten alle
acht aus der einen Tüte satt werden? Eigentlich hatte doch der kleine weiße
alles haben sollen, und allenfalls der schwarze auch noch was mit! An die
anderen hatte sie nicht gedacht.
Aber wenn sie nun alle so hungrig
waren?
Elke vergaß ihre Furcht gänzlich. Sie
dachte jetzt nur daran, daß die Hunde hungrig waren und daß sie den Inhalt
ihrer Tüte gerecht verteilen mußte.
Sie befand sich plötzlich mitten unter
den Hundekasten, ohne daß sie selbst hätte sagen können, wie sie dahin gelangt
war.
Drei Hände voll Kuchenkrümel schüttete
sie vor jeden Hund hin, und dann war der Vorrat aufgebraucht. Den kleinen Rest,
den sie übrig behielt, bekam ihr weißer Lieblingshund.
Natürlich gab es ein großes Gedränge
um die Spenderin herum, denn jeder Hund wollte gern noch mehr haben, als er
kriegen konnte, aber Elke zeigte dann immer wieder ihre leeren Hände vor, und
da verstanden schließlich auch die hartnäckigsten Bettler, zwei große, schwarze
Hunde, daß nichts mehr zu erhoffen war.
Leider nicht! Elke selbst bedauerte es
am meisten.
Sie kauerte sich nun neben der Kiste
nieder, in der ihr Lieblingshund lag. Sie begann, ihn zu streicheln, und das
Tier schmiegte sich eng an ihren Arm.
Elke war glücklich. Sie mochte Hunde
so gern, und der kleine weiße tat ganz so, als wenn er sie schon lange kannte
und liebhatte.
Er hatte ein etwas rauhes, struppiges
Fell, aber Elke strich darüber hin, als sei es weichste Seide.
Da hörte sie plötzlich von außen her
ein leises Geräusch.
Was war das?
Im selben Augenblick öffnete sich auch
schon ganz behutsam die schmale Brettertür neben der Stallaterne. Ganz behutsam
und leise - - — Elke stockte der Atem.
Kam da jemand? Das Herz wollte ihr vor
Angst zerspringen: Es war der Italiener! Er war in sein Theater zurückgekehrt.
Er stieß jetzt ein kurzes, befehlendes
Zischen aus, und keiner der Hunde rührte sich auch nur.
Kalter Angstschweiß trat Elke vor die
Stirn. Wenn der Mann nun hierher zu den Hunden kam und sie fand! Er würde sie
sicher wiedererkennen als eines von den Mädchen, die den Miauchor gemacht
hatten! Entsetzlich!
Der Italiener begann jetzt, mit einer
Taschenlampe vor sich herleuchtend, etwas zu suchen.
Elke saß wie erstarrt. Der Mann kam
jetzt sicher auf sie zu.
Aber nein, er kam nicht auf sie zu. Er
hatte schon gefunden, was er gesucht hatte. Er hatte eine Flasche gesucht und
nahm jetzt deren Korken ab und roch an ihrem Inhalt. Dann öffnete er die
Deckelkiste neben der Tür, nahm ein Stück Stoff heraus und riß einen ziemlich
großen Fetzen davon ab. Den Fetzen tränkte er mit dem Inhalt der Flasche.
Danach drückte er ganz vorsichtig die Klinke der Tür nieder und verschwand
genau so geräuschlos, wie er gekommen war. Der Italiener war wieder weg — Gott
sei Dank!
Elke fühlte sich von einer
entsetzlichen Angst befreit.
Sie machte sich keine Gedanken
darüber, wozu der Theaterbesitzer den Lappen wohl brauchen wollte. Sie war nur
erlöst, daß er wieder fortgegangen war, ohne sie entdeckt zu haben.
Aber sie hatte nun keine Ruhe mehr.
Sie wäre gern noch ein bißchen bei ihrem kleinen Hundefreund geblieben, aber
wie leicht konnte der Mann wiederkommen! Nein, es war besser, wenn sie jetzt
wieder zu Katje und ihren Verwandten hinüberging.
Einige Minuten später war sie wieder
durch das Loch in der Planke geschlüpft und rief nach Herrn Lohmeyer. Keine
Antwort. War Herr Lohmeyer weggegangen? Elke tastete sich vorsichtig voran und
fand auch richtig die Küchentüre.
Aber was war das? Die Küche war voll
Rauch! War hier Feuer ausgebrochen?
Elke lief um die Bude herum an ein
kleines Fenster, von dem sie wußte, daß es zu der Stube gehörte, in der Katje
und ihre Tante schliefen.
„Katje! Katje!“ Sie klopfte heftig
gegen das Fenster. „Die ganze Küche ist voll Rauch!“
Herr Lohmeyer war in seine Wohnung in
der Stadt gegangen, und seine Frau, die auf Elkes Rückkehr hatte warten wollen,
war gegen ihren Willen in ihrem Stuhl eingeschlafen. Sie konnte jetzt kaum zu
sich kommen, so benommen war ihr der Kopf.
Jetzt sah Elke plötzlich, wie eine
große, grüngelbe Flamme in die schwarze Nacht hineinloderte.
„Hilfe! Hilfe!
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