Elke im Seewind
keine Kleider mehr, sondern kurze Hosen und kleine Blüschen. Ihre Füße stecken nackt in den Schuhen. Sie sehen allerliebst aus, eine wie die andere, aber sie selber finden sich nur „entsetzlich weiß“. Ihre Gesichter haben sich gestern während der sonnigen, windigen Seereise schon ein bißchen aufgefrischt, aber ihre Körper tragen ja auch noch wirklich keine Spur der ersehnten Sonnenbräune.
In der Veranda steht für jede von ihnen ein Glas Milch und ein Päckchen Butterbrot zum Mitnehmen bereit. Schon sind die Mädel draußen auf der Dorfstraße und überlegen, wie sie den Nachmittag am besten verwenden. Lotti hat heute morgen vergessen, sich den Briefblock zu besorgen, den sie sich außer Ansichtskarten noch kaufen wollte, und möchte das nachholen. Elke findet es langweilig, daß sie wieder in einen Laden gehen wollen, widerspricht aber nur mit einem gedehnten Och--.
Katje sagt: „Diese Bauernläden sind lustig. Rollmöpse, grüne Seife, Hüte, Kleider, Schokolade, Petroleum, Tabak, Bonbons, alles durcheinander — ich mag das gern sehen.“
Lotti stellt in Aussicht, Bonbons für sie alle zu kaufen. Sie hat von ihrer Tante Lissy reichliches Taschengeld mitbekommen. Lotti macht ihre Einkäufe, und als sie dann in Richtung des Wattenmeeres wandern, das gar so herrlich blau zu ihnen herübergrüßt, macht Lottis Bonbontüte unaufhörlich die Runde. Schließlich haben alle ganz rote Lippen und Zungen von den stark gefärbten „Himbeer“-Bonbons, und Elke muß an ihre Schwester Anke, die Medizinstudentin, denken. Die würde ein schönes Donnerwetter auf sie niederprasseln lassen, wenn sie sie hier die große Tüte mit leerlutschen sähe!
Lotti hat die Bonbons gespendet, Lotti bestimmt demnach jetzt auch, was weiter unternommen werden soll. Der Weststrand ist zu weit weg, findet sie, und baden dürfen sie ja sowieso nur morgens, weil nachmittags der Bademeister manchmal nicht am Strand ist. Also ist es das beste, sie gehen zum Strand am Wattenmeer. Es ist jetzt Flut, und das Wasser reicht bis fast an die Wattwiesen heran, sehen sie schon von weitem.
Es wird ein ganz wunderhübscher Spaziergang. Auf den Wattwiesen, die sich nach der nördlichen Ortschaft der Insel, nach Norddorf hinziehen, finden sie rote Grasnelken und hellila Halligblumen, auch Halligflieder genannt, die gleichen Blumen, von denen Begrüßungssträuße in ihren Zimmern stehen. Auch kleine gelbe Strohblumen, die überhaupt nicht welk werden, sogenannte Immortellen, finden sie, und Katje ist ganz begeistert. Bevor sie abreisen, will sie hierher gehen und aus Immortellen einen Kranz flechten. Den will sie der Mutter für das Bild des im Kriege gefallenen Vaters mitbringen. Darüber freut Mutti sich sehr, weiß sie.
Als es auf den Wattwiesen zu naß wird, gehen die Mädel hin zu dem Landstreifen, der sich zwischen den Wiesen und dem lustig plätschernden Wattenmeer hinzieht, Ihre Schuhe haben sie längst ausgezogen. Ruth macht am Strand sofort eine reizende Beobachtung. Laufen hier nicht überall im Sand und zwischen den Steinen kleine Vögel herum? Sie laufen so geschwind, als wenn sie auf Rädern liefen. Da ist einer, da auch und dort! Jetzt sehen auch die anderen die hurtigen, graubraunen, etwa lerchengroßen Vögel, und Elke sagt, daß ihr Vater ihr einmal erzählt hat, daß die Strandläufer und Regenpfeifer mitten im Geröll des Strandes ihre Nester anlegen. Ganz ohne irgendwelche Unterlage legen sie die Eier in eine Mulde aus kleinen Steinen oder Sand, und es ist sehr schwer, die Nester zu finden, weil die Eier fast genau so aussehen wie die Steine.
Natürlich gehen die Mädel jetzt trotzdem daran, Nester zu suchen, finden aber keines. Katje schlägt schließlich vor, daß sie sich ein bißchen in den Sand legen und sonnen.
Es vergeht eine ganze Weile. Die Stille des friedlichen Nachmittags, die nur durch das gelegentliche Hahaha einiger vorüberfliegenden Lachmöwen und durch das langgezogene Djüidjüi eines Regenpfeifers unterbrochen wird, macht die Kinder schläfrig. Die einzige, die nicht einschläft, ist Elke. Sie denkt daran, daß es falsch war, daß sie ihre Sonnenbrandsalbe absichtlich nicht mitgenommen haben, um sich tüchtig einbrennen zu lassen. Sie ist schon ganz rot an den Armen und Beinen und an der Brust — die anderen übrigens auch — und das tut nachher so weh.
Noch aus einem anderen Grunde schläft Elke nicht ein. Der Vogel Djüidjüi bleibt immer in ihrer Nähe. Entweder fliegt er über sie hin, oder er
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