Ella und der Neue in der Klasse
abbekommen hatte. Und plötzlich sahen wir ihn auch nicht mehr. Wahrscheinlich schmollte er in irgendeiner Ecke.
»Jetzt hört mir mal gut zu ...«, fing die Tante an, aber dann redete sie nicht weiter, weil hinter dem Watteregal ein hässliches Zischeln zu hören war.
»Was ist das?«, fragte die Tante.
»Tja, vom Zischeln her würde ich auf eine tunesische Felsenkreuzotter schließen. Ein Weibchen«, sagte Timo.
Das Zischeln war noch ein paarmal zu hören und endete mit einem seltsamen Röcheln. Einen Augenblick später kam Mika hinter dem Regal hervor. Er hatte einen Vollbart. Oder nein: Eigentlich sah sein ganzer Kopf wie eine Wolke weiße Zuckerwatte aus. Er hatte ihn nämlich komplett mit Rasierschaum eingesprüht. Nur die Augen schauten aus der Schaumwolke heraus. Wir waren richtig neidisch, denn Mikas Bart war ganz klar der schönste.
Unser Glück war dann, dass der Lehrer sich gerade einen Rasierer kaufte. Das Kinderbett hatten er und seine Frau anscheinend schon gekauft. Der Lehrer bezahlte auch unsere Watte und Mikas Dose Rasierschaum.
»Sie sollten ein bisschen besser auf Ihre Kinder aufpassen«, ermahnte die Kosmetiktante den Lehrer.
»Welche Kinder, bitte? Das hier sind meine sechs Großväter und mein Großonkel Akseli. Akseli ist das weiße Schaf der Familie«, erklärte der Lehrer und tätschelte Mika den Kopf. Dann wischte er sich die Hand an Pekkas Stirnbart sauber und begleitete uns ins Freie.
»So, und jetzt wartet ihr hier auf eure Eltern! Ich werde sie persönlich ausrufen, damit sie wissen, wo sie euch abholen können«, sagte er und ging noch mal zurück ins Kaufhaus.
Wir standen brav in einer Reihe vor einem der Schaufenster und warteten. Wir wussten nur nicht, worauf wir eigentlich warteten, denn unsere Eltern würden es ja nicht hören, wenn der Lehrer sie ausrief. Sie waren ja zu Hause.
Lustig war, wie verdattert uns die Leute alle ansahen. Wahrscheinlich wunderten sie sich, was sieben Professoren in einer kerzengeraden Reihe vor dem Kaufhaus zu suchen hatten.
»Guck mal, Mama, Weihnachtswichtel!«, sagte ein kleines Mädchen zu seiner Mutter.
»Die fangen mit dem Weihnachtsrummel auch jedes Jahr früher an«, sagte die Mutter schlecht gelaunt.
Aber sie hatte recht. Von irgendwoher waren sogar schon Weihnachtslieder zu hören. Und dann sahen wir den Heißluftballon. Er schwebte langsam über die Dächer und der Kinderchor sang »Vom Himmel hoch, da komm ich her«.
Paavo steckt in Schwierigkeiten
Irgendwann beschwerte sich Mika, dass ihm der Rasierschaum in die Augen lief. Außerdem duftete er ganz komisch männlich. Also nahmen wir unsere Bärte ab und wischten ihn damit sauber. Das Verkleiden schien heute sowieso nicht zu helfen.
Genau genommen hatten wir auf der ganzen Linie versagt. Dass wir Paavo ausgerufen hatten, hatte genauso wenig geholfen wie die falschen Bärte. Jetzt saßen wir in der großen Stadt fest wie die Cowboys in den Westernfilmen in ihrer Wagenburg, wenn draußen die Indianer heulten. Und es war keine Rettung in Sicht. Wenn es eine Kavallerie gab, die uns zu Hilfe eilen wollte, war sie im Treibsand stecken geblieben.
»Wir sollten noch mal reingehen und den Lehrer suchen, solange er noch da ist. Er hilft uns bestimmt und bringt uns nach Hause«, sagte Timo.
Ich sah Hanna an, die traurig den Kopf hängen ließ und nicht widersprach, obwohl sie natürlich wusste, was Timos Vorschlag bedeutete. Ich hätte es nett gefunden, die Freundin eines großen Filmstars zu sein, aber anscheinend ging es im richtigen Leben doch nicht wie in all den schönen Kinofilmen zu. Oder wo blieben die ganzen Supermänner, Tarzane und Romeos, die in Schwierigkeiten geratene Menschen im letzten Augenblick aus allen Gefahren retteten? Hier standen gleich sieben davon, und es schien niemanden zu interessieren.
Dann fing Timo noch mal von unserem Lehrer an und sagte, dass er ihn jetzt suchen gehe.
Wir anderen wollten uns so lange das Schaufenster ansehen, vor dem wir schon die ganze Zeit standen. Es war voller Vatertagsgeschenke. Da waren Kameras, Rasierapparate, Bohrmaschinen, Computer, Bücher und riesengroße Fernseher. Ich selbst wollte meinem Vater das Nadelkissen schenken, das ich in Handarbeit gemacht hatte. Vielleicht konnte er darauf zum Beispiel die Speicherkarte seiner schönen neuen Digikamera aufspießen.
Timo was schon fast beim Eingang, als plötzlich Paavo im Schaufenster auftauchte.
»Timo, warte!«, rief ich.
»Da!«, sagte Tiina, und zeigte mit dem Finger
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