Ellas geheime Traeume 1&2
musste sie einsehen, dass er in ihr scheinbar doch nicht mehr als eine talentierte Kollegin und Freundin sah – und dass sie, sollte er jemals mehr für sie empfunden haben, diese Empfindung durch ihr plumpes Begehren zerstört hatte.
Die einzigen Worte außer „Ciao“ und „Tschüss“, die er dann schließlich doch noch mit ihr wechselte, überzeugten sie endgültig von dieser scheinbaren Tatsache: Er bat sie darum, sich mit einer bestimmten Komponente des Grafikprogramms bis zu ihrem nächsten Treffen intensiver zu befassen. Bitter lächelnd hatte sie es ihm versprochen.
Immerhin – ich habe ihn nicht so sehr schockiert, dass er mich nicht mehr in seine Wohnung lassen möchte, dachte sie nun, während sie in ihrer kleinen Wohnung am Schreibtisch saß und halbherzig an einer Skizze arbeitete. In Grunde dienten die schnellen, kurzen Striche, mit denen sie über das Papier fuhr, eher ihrer Beruhigung, denn in wenigen Stunden würde Alan mit seinem BMW vorfahren, um sie abzuholen. Sie würde mit ihm zu einer Party fahren, deren Veranstaltungsort sie nicht kannte – und wo sie mit hoher Wahrscheinlichkeit irgendeine Überraschung erwartete, die er sich für sie ausgedacht hatte. Wie würde das ‚Spiel’ wohl weitergehen? Sie hoffte inständig, dass Moleskis Informationen von der Sittenpolizei sich als falsch erweisen würden, und vor allem, dass Alan nicht in solche Machenschaften involviert war. Sie traute ihm Vieles zu – aber konnte es tatsächlich sein, dass er im Rotlichtmilieu agierte oder sich womöglich mit Minderjährigen vergnügte?
Krack, machte die Bleistiftspitze und zerbrach unter dem festen Druck von Ellas schwitzender Hand. Sie kramte in einer Schublade nach dem Anspitzer, beschloss dann jedoch, der Wahrheit ins Auge zu sehen: Es wurde Zeit, in die Abendgarderobe zu schlüpfen.
„Mensch Alan, bist du eigentlich wahnsinnig geworden?“ keifte Konstantin von Erft so laut, dass Alan froh war, dass er im Auto saß und die Freisprechanlage aktiviert war. Hätte er sich sein Handy direkt ans Ohr gehalten, wäre ihm wohl das Trommelfell geplatzt.
Typisch Konstantin, dachte Alan, macht wieder einen riesigen Aufriss . „Ella ist absolut vertrauenswürdig“, beschwichtigte er seinen langjährigen Freund. „sie ist mir total verfallen und käme nie auf die Idee, irgendetwas auszuplaudern, das mir schaden könnte. Davon abgesehen“, fuhr er fort, wobei seine Stimme eine herablassende Färbung annahm, „würde sie das auch niemals wagen. Sie ist nur eine unbedeutende, kleine Angestellte, Konstantin, ohne irgendwelchen Einfluss. Und du weißt, wie gut ich darin bin, Menschen einzuschüchtern!“
Mit ärgerlich gerunzelter Stirn wartete er auf eine Reaktion von Erfts, der sich jedoch die Zunge abgebissen zu haben schien. Umso besser, dachte Alan, wenn irgendjemand etwas ausplaudert, dann doch wohl dieser Feigling.
Konstantins Stimme drang leise aus den Lautsprechern; es klang, als habe er den Arm mitsamt seinem Telefon resigniert ein Stück sinken lassen. „Auf deine Verantwortung, Alan. Ich sage Bernhard Bescheid. So, wie ich ihn kenne, wird er deine Ansichten teilen. Aber wenn du mich fragst-“
„Ich frage dich aber nicht.“ Damit beendete Alan das Gespräch – und drehte stattdessen den MP3-Player voll auf. Beethovens kriegerisch klingende neunte Sinfonie schallte in ohrenbetäubender Lautstärke durch das Auto und brachte die Armaturen zum Schwingen. Umso besser – das war genau das, was er jetzt brauchte. Mit abgehackten Bewegungen dirigierte Alan mit einer Hand ein unsichtbares Orchester, während er mit der anderen Hand den Wagen steuerte und mit dem Fuß stärker aufs Gas trat. Er ignorierte das Hupen vor und hinter sich, während er ein ums andere Mal zu riskanten Überholmanövern ansetzte.
Ebenso ignorierte er auch Ellas ängstliche Blicke und die Geste, mit der sie sich am Türgriff festhielt. Warum wollen mir heute eigentlich alle vorschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe? dachte er ärgerlich, behielt seinen sportlichen Fahrstil bei und überlegte sogar, die Musik wieder voll aufzudrehen. Nein, dachte er dann, noch nicht. Sie hat mir die Akte mitgebracht – und sicherlich wird sie mir auch noch weiterhin nützlich sein.
Er durchquerte in rasendem Tempo das verhältnismäßig schäbige Wohnviertel, in dem Ella lebte, und lenkte den Wagen wieder einmal aus der Stadt heraus. Nachdem er auf die Landstraße gefahren war, hielt er nach einem Parkplatz Ausschau – und
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