Elli gibt den Loeffel ab
hatte zu schreiben und sie sich mit ihrer spitzen Zunge fortan beruflich austoben konnte.
»Warum willst du dann nichts von ihm?«
»Weil das langfristig sinnlos wäre. Heinz lebt in einem Wohnwagen und tingelt darin um die Welt. Ich bin ein anderes Leben gewohnt.«
Anja hörte schlagartig mit der Knabberei auf und erweckte den Anschein, als würde sie sich nachdenklich zurücklehnen. »Wenn ich das richtig sehe, sitzen wir beide im selben Boot. Wir heben jemanden, kommen aber rein rational betrachtet zu dem Schluss, dass es niemals gutgehen kann, und verzichten somit auf das Schönste, was einem das Leben schenken kann. Sag mal, sind wir beide eigentlich völlig bescheuert?«
Manche Einsichten kamen im Leben wohl immer ein bisschen zu spät. Selbst wenn Anja recht hatte, der Zug mit Heinz war abgefahren, so, wie sie sich in den letzten Tagen gegeben und ihm gegenüber verhalten hatte! Immerhin wusste sie nun, dass sie sich völlig bescheuert verhalten hatte.
Heinz fühlte sich rastlos. Er war innerlich aufgewühlt wie schon seit vielen Jahren nicht mehr, und die wachsende Unruhe schien sich auf Oskar zu übertragen. Normalerweise lief der Hund friedlich und vergnügt einfach neben ihm her und hüpfte gelegentlich wie Klein Bambi in die
Wiese, um Schmetterlingen, Hummeln oder Vögeln hinterherzujagen. Der heutige Spaziergang auf dem Rückweg vom saftigen und schattenspendenden Grün der Via Provinciale Anacapri zu seinem Hotel in Capris Oberstadt hatte weder ihm noch Oskar Ruhe gebracht. Unentwegt blickte Oskar, der auf dem Boden des Hotelzimmers auf einem Kissen kauerte, zu ihm auf, als ob er sich versichern wollte, dass es seinem Herrchen immer noch gutging.
Natürlich ging es ihm nicht gut. Nach der gestrigen Begegnung mit Elli war er so wütend gewesen, dass er die Insel am liebsten sofort verlassen hätte. Kaum war der kleine Reisekoffer gepackt, hatte ihn auf dem Weg von der Casa Bella ins Stadtzentrum von Capri eine merkwürdige Lähmung befallen. Kaum im Hotel eingetroffen, hatte er eine geschlagene Stunde seinen Koffer angestarrt. Das war nicht er und absolut nicht normal. Nichts war mehr normal!
Am liebsten wäre er vergangene Nacht noch einmal hinauf zur Casa Bella gefahren, um sich mit Elli in Ruhe zu unterhalten, aber vermutlich hätte er sie dort gar nicht angetroffen. Hoffentlich hatte sie ihrer Schwester vom wahren Wert der Pension und des Grundstückes erzählt, doch dieser Gedanke war letztlich nichts gegen die Vorstellung, Elli niemals wiederzusehen. Sich im Streit zu trennen, war so ziemlich das Schlimmste, was man tun konnte. Den ganzen Weg bis zum Hotel hatte er sich überlegt, was er Elli sagen würde, und obwohl er am Morgen bereits ausgecheckt hatte, plagte ihn der Umstand, dass er immer noch nicht wusste, was er tun sollte. Schon wieder dieser Koffer. Diesmal stand er vor ihm in einer kleinen Bar in unmittelbarer Nähe des Hotels. Worauf wartete er eigentlich noch?
Elli würde sich nicht mehr bei ihm melden. Fabrizio hatte er am Abend noch schnell seine Handynummer und die Anschrift des Hotels durchgegeben — sozusagen für alle Fälle. Vermutlich starb die Hoffnung tatsächlich zuletzt. Alle zehn Minuten auf das Display des Handys zu sehen, ob sie sich nicht vielleicht doch gemeldet hatte, konnte einen verrückt machen.
Das Gespräch mit Anja hatte Elli den Rest gegeben. Es gab keinen einzigen Grund mehr, hier auf Capri zu bleiben. Ihre Reise war umsonst gewesen. Vielleicht konnte sie zu Hause noch retten, was zu retten war. Die Räumlichkeiten der Videothek ließen sich bestimmt leicht weitervermieten. Die Privatinsolvenz wartete auf sie, aber das hatten andere auch schon geschafft. Doro hingegen würde von der Romanze ihrer Mutter profitieren und sich den Lebensabend vergolden. Das Leben war ungerecht, und allein auf den steinernen Stufen der Casa Bella zu sitzen und in den blauen Himmel zu starren, aus dem sie die Sonne munter, als wenn überhaupt nichts wäre, anzulächeln schien, hatte etwas Skurriles. Bester Nährboden, um in Selbstmitleid förmlich zu ertrinken.
Elli bereute zudem bitterlich, dass sie nicht mehr mit Heinz über den vergangenen Tag sprechen konnte. Er war sicher noch am Abend abgereist. Anja hatte recht. Sie war bescheuert, aber es war nun mal nicht so einfach, über den eigenen Schatten zu springen. Natürlich mochte sie ihn und hatte sich an seiner Seite sehr wohl gefühlt. Er hatte ihr das Gefühl vermittelt, dass sie sich einfach so geben konnte, wie
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