Elli gibt den Loeffel ab
telefonisch bei Frieda gemeldet, um ihr die genauen Daten durchzugeben.
Um ein Haar hätte Elli ihn um einen Vorschuss angebettelt, aber irgendwie würde sie auch so bis zum nächsten Morgen durchhalten. An ein Hotel oder eine Pension war mit ihrem mittlerweile auf zwölf Euro fünfzig geschrumpften Kapital nicht zu denken. In der Via Teldo, der schier nicht enden wollenden Fußgängerzone, gab es fast nur Boutiquen und kleine Warenhäuser, aber immerhin auch ein Fastfood-Restaurant. Da war man endlich in Italien und konnte sich gerade mal einen Burger mit Pommes sowie eine Literflasche Mineralwasser leisten. Die sieben Euro fünfzig, die ihr danach noch blieben, mussten bis zum nächsten Morgen reichen. Am besten sie schaute gar nicht mehr in die mit frischen Meeresfrüchten prall gefüllten Vitrinen der Restaurants, an denen sie auf der Suche nach einem schattigen Plätzchen in den Gassen der Altstadt vorbeikam.
So genau konnte sie sich an die Innenstadt von Neapel allerdings nicht mehr erinnern. Sie war mit ihren Eltern und Doro immer bloß kurz geblieben, in aller Regel nur dann, wenn sie die Fähre verpasst hatten. Irgendwo rechter Hand musste es jedenfalls zum deutlich kühleren historischen Stadtkern gehen. Vielleicht entdeckte sie dort sogar eine Parkbank für eine kurze Rast. Die Füße taten ihr inzwischen ordentlich weh und sehnten sich nach einer Verschnaufpause. Kaum in eine der schmalen Gassen eingebogen, fiel es einem schwer, sich dem eigenwillig maroden Charme der Stadt zu entziehen, und wenn man mit einem Rollenkoffer sowieso nicht schnell gehen konnte, war man der Reizüberflutung hilflos ausgeliefert.
Neapel war wie ein Schmelztiegel aus Himmel und Hölle. In welcher anderen Stadt hingen so viele Engel an den Gebäuden, Hausfassaden, Kirchenportalen und sogar an den Statuen? Und das alles mitten im Dreck. Immer wieder tauchten Kirchen und kleine Kapellen wie aus dem Nichts zwischen zwei Wohnhäusern auf, deren Putz oft schon ordentlich bröckelte. Selbst die Fassade eines der vielen Geschäfte, die ganzjährig Krippen nebst Zubehör verkauften, war von Graffiti verunziert. Auf der einen Seite blickte über dem Portal eines Wohnhauses die Muttergottes Elli aus mitleidigen Augen an, gleich daneben hing eine bestimmt schon hundertmal überklebte Werbung, die mit einem kleinen roten Teufelchen für einen Energy-Drink warb. Überall ohrenbetäubender Lärm, der kaum noch zu ertragen war, sobald eine Vespa mit angesägtem Auspuff an einem vorbeiknatterte.
Elli bekam kaum Luft in den engen Gassen, in denen sich die Einheimischen unentwegt anzuschreien schienen. Dazu wilde Gesten und eine ausdrucksvolle Mimik, ob bei dem Obstverkäufer, an dem sie gerade vorbeilief, oder dem jungen Paar, das sich in einer Auslage Schuhe ansah. Thea-tralik mit jeder Bewegung. Fast schien es, als wären alle Neapolitaner Schauspieler und müssten dies täglich unter Beweis stellen. Immerhin gab es in einer der Bars auf dem Weg einen Cappuccino für nur zwei Euro. Irgendwie musste sie sich ja wach halten. Zwar tat es verdammt gut, sich für ein paar Minuten hinzusetzen und die inzwischen ziemlich angeschwollenen Füße aus den Schuhen zu pellen, aber der Kaffee gab ihr den Rest.
Er war bestimmt dreimal so stark wie der, den sie vom Ginos gewöhnt war. Er peitschte sie dermaßen auf, dass die Menschenmassen um sie herum wirkten, als hätte jemand einen Film mit einem Zeitraffer aufgenommen. Auch der Geräuschpegel schien auf einmal viel schneidender und aufdringlicher zu sein. Nichts wie weg hier, dachte Elli und erinnerte sich daran, dass es bei den alten Festungsanlagen am Meer einige ruhigere Ecken gab. Für einen kurzen Moment des Friedens würde sich der Weg zurück durch die Stadt also lohnen.
Das Castel dell’Ovo lag mitten auf einer Halbinsel, die von der Hafenstraße, der Via Partenope, aus gut zu erreichen war. Dennoch hatte Elli nun eine weitere halbe Stunde Fußmarsch hinter sich. Malerische Hafenrestaurants umlagerten die imposante Burg, wo die letzten Touristen mit dem Licht der Abendsonne das Gebäude verließen. Jetzt einfach nur auf einem Mauervorsprung zu sitzen und aufs Meer hinauszublicken. Dies würde ihr Kraft geben. Wie sie den steilen Weg bis zu diesem Aussichtspunkt mit dem Koffer überhaupt hinter sich gebracht hatte, war ihr nach wie vor ein Rätsel. Immerhin hatte sich oben ein Galerist, dessen schattenspendende Räume sehr einladend aussahen, ihrer erbarmt und sie mit einem Glas kühlem
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